Tag 14 + 15 Hiroshima/Miyajima : Wenns am besten ist…

Der letzte Abschnitt unserer Japan Rundreise in den Flitterwochen war Hiroshima. Es schien uns passend, da diese Reise auch der Weg vom „Das ist mein aktueller Lebensabschnittsgefaehrte“ zu „Wir sind eine Familie“ war, und das in einem Land, wo die Menschen so nah an den Traditionen der Vergangenheit Leben und trotzdem mit begeistert der Zukunft entgegen gehen. Und was ist besser als letzter Ort als eine Stadt, wo der Fallout von Gestern der Strahlung von Heute begegnet?

 

Wobei das so eine Sache ist mit den radioaktiven Superkräften. Mein Haar ist immer noch voll, meine Frau leuchtet nicht im Dunkeln und viele der ausländischen Touristen (von denen es nicht weniger gab als bei meinem letzten Japan Trip) konnten überhaupt nicht verstehen, weshalb in Deutschland soviel Sorge wegen Fukushima besteht. Bei der Einheimischen Bevölkerung haben wir nichts bemerkt. Ich habe aufmerksam nach Geigerzählern oder anderem Schnickschnack gesucht, aber wirklich gar nichts war aufzutreiben. Und das liegt nicht daran, dass dem Japaner seine Gesundheit egal wäre: Mit der Angst um das leibliche Wohl wird in Japan sehr viel Geschäft mit zum Teil Haarsträubenden Produkten gemacht. Ich für meinen Teil empfehle herzlich gerne Japan als Reiseland, und meine Frau fühlt sich hier auch vollkommen sicher und gut aufgehoben.

 

Da wir uns nicht stressen, ist der Transfertag immer sehr unspektakulaer. Der Weg von Kyoto nach Hiroshima ist mit dem Shinkansen ein Katzensprung, also nutzen wir die Zeit, um einen neuen Zweitkoffer zu kaufen und im Yodobashi noch das eine oder andere Mitbringsel einzukaufen. Es ist zwar eine Herausforderung, dem japanischen Personal das Prinzip internationaler Einkäufe zu erklären, aber wenn man erst einmal das Zauberwort „Duty Free“ gelernt hat, packen die Verkäufer emsig ihre Stempel aus und heften einem einen halben Roman in den Reisepass. Dafür spart man sich dann aber 5% Steuern. Wichtig ist, dass man nicht aufgibt, bis die ihre Papiere rausholen. Da japanische Angestellte stets Lächeln weiß man nie, was sie jetzt auch verstanden haben. Sie erzählen einem Fröhlich ganz viele Sachen, denn der Japaner als Optimist geht davon aus, dass der andere entweder genug Japanisch kann oder ein Telepath ist. Bei merkwürdigen Gaijin schließlich nicht unwahrscheinlich. Was hier Wunder wirkt, ist ein freundliches, aber bestimmtes und vor allem oft wiederholtes „Wakaranai“. Ich weiß nicht einmal ob es grammatisch korrekt ist, aber in etwa heißt es „Ich hab nicht ein Wort von dem verstanden, was du gerade gesagt hast.“ Und solange es funktioniert (was es tut), verzichte ich gerne auf den  Preis für perfektes Japanisch.
Klassische Bürokratie aber ihr spart euch Geld damit.

 

Da wir bei den letzten Zugfahrten immer neidisch auf die köstlichen Brotzeitboxen der anderen Fahrgäste geschielt haben, während wir von den Zugbegleiterinnen überteuerte und ziemlich matschige Sandwiches kauften,  gönnten wir uns auch so eine Schachtel. Ich stelle mir gerne vor, wie ich vielleicht einmal neben meinem Hausgaertner auch noch einen eigenen Bento Box Packer habe. Der würde meine Kinder zu den unangefochtenen Königen beim Pausenbrot machen.

 

Dies Schachteln enthalten eine komplette Mahlzeit und sind liebevoll mit den Sehenswürdigkeiten der Bahnhofsstadt bedruckt. Die gehen weg wie warmer Reis.

Ein nettes Wurschtbrot hast du da. Ich? Ach nichts besonderes…

 

Der heutige Tag war dann ganz für das letzte Highlight der Japanreise gebucht: Die wirklich wunderschöne Insel Miyajima. Ich habe schon bei meiner letzten Reise davon geschwärmt. Mit den besten Erinnerungen ist das eine gefährliche Angelegenheit: Wenn man sie wiederholt, und es geht in die Hose, dann bleibt dem unvergesslichen Erlebnis von damals ein fader Beigeschmack. Aus genau dem gleichen Grund habe ich darauf verzichtet, mir hier noch einmal ein Kobe Steak zu gönnen. Sowohl in Kyoto als auch in Hiroshima bin ich an einigen Restaurants vorbeigelaufen, in deren Schaufenster dieses Stück fleischgewordene Glückseligkeit angeboten wurde. Mit zitternden Händen und aschfahlem Gesicht kaempfte ich mich an  den Laeden vorbei, aus denen ein so zarter Steak Geruch schwebte, dass mir die Tränen der Ergriffenheit in die Augen stiegen. So muss sich ein Junkie fühlen wenn er nie wieder rückfällig werden darf und dann beim besten Stoff der Welt vorbeigehen muss.

Äh ja wo war ich – stimmt, Miyajima. Also wenn ich einen Flecken Natur als mein Kobesteak des Landschaftsgenusses in Japan bezeichnen würde, dann wäre es diese Insel. Und weil das Leben eine fiese und ironische Angelegenheit ist, lief es erst einmal durchwachsen. Der Himmel war bedeckt, und so schien die Insel nicht wie ein grünes Juwel aus einem strahlend blauen Meer, sondern Imogens erster Kontakt mit der Insel war ein halbgraues Etwas, das sich vor den Bug des Fährschiffes legte.

Die traumhafte Aussicht vom Mount Misen mit extra ohne Aussicht.

Auch das Wahrzeichen der Insel, ein riesiges oranges Tori war am unteren Teil in ein abscheuliches Baugeruest gepackt. Ich finde es ja löblich, wenn man Kulturgut auch mal restauriert, aber wieso muss das Jahr des schwingenden Hammers ausgerechnet bei meinen Flitterwochen sein? Ich fühlte mich ein wenig wie ein Vater, der den perfekten Sopran seines Sohnes anpreist und dann kommt der Lümmel ausgerechnet bei der Premiere in den Stimmbruch.

Vielleicht war ich aber auch etwas kritisch im direkten Vergleich mit meinen Erinnerungen, denn Imogen verliebte sich spätestens beim ersten süßen Reh in die Insel. Natürlich punktet Miyajima mit unfairen Mitteln, denn kuschelige Tiere mit sooooo großen dunklen Augen würden wahrscheinlich selbst eine brennende Müllhalde für eine Frau zu einem Paradies machen.

Och ist das SÜÜÜÜÜSS!!! Mit den richtigen Schlüsselreizen sind Frauen leicht zufriedenzustellen. Höchstens Schokolade wirkt noch besser.  Hm, Rehe aus Schokolade…

Bei aller Niedlichkeit sind die vierbeinigen Herrscher der Insel auch vier Jahre später erfrischend unverschämter als die vollgekifften Parkbettler in Nara. Die Besucher halten sich zwar an das Fütterungsverbot, aber die Tiere haben sich in meiner Abwesenheit zu organisierter Kriminalität aufgeschwungen. Gangs von Paarhufern belagerten die Futterbuden der Touristen, und unschuldige alte Damen wurden heimtückisch überfallen.

Dieser Händler hatte es gewagt, kein Schutzgeld zu zahlen. Die Bambi-Killerschwadron begegnet solchem Widerstand mit brutaler Gewalt.

 

Harmlose Oba-sans müssen hilflos mit ansehen, wie ein halbstarkes Reh ihre einzige Karte zerfetzt. Diese blutrünstigen Bestien bremsen nicht für Menschen.

 

Das putzige Dammwild setzte in meiner Frau soviel Endorphine frei, dass ich sie nicht nur widerstandslos bis zur Seilbahn lotsen konnte, sondern dort auch noch Anstandsfrei die Karten ohne Rückfahrt erstehen konnte. Die Beschilderung auf dem Weg zur Seilbahn fand ich persönlich ausgesprochen gelungen: „10 Minutes Walk (7 if run a little)“. Endlich wird den ehrgeizigeren Wanderern ein Ansporn gegeben.

Die Wanderung oben am Berg war einfach schön, und da will ich gar nicht so viel beschreiben, sondern einfach ein paar Eindrücke teilen.

 

Um den Tempel des ewigen Feuers standen verstreut kleine Buddhas. Ich fand sie ehrlich gesagt den deutschen Gartenzwergen nicht unähnlich…
Auch ein Gott hebt gern mal einen. Freundliche  Wanderer hatten hier ihre Sake-Gläser abgestellt. 

 

Glücklich am Gipfel. Frau und  Hirsch waren zufrieden.

 

Als wir vom Berg abgestiegen waren, riss auch endlich die Wolkendecke auf und wir naschten eine größere Ladung japanischer Köstlichkeiten, während wir an der Kaimauer die Sonne genossen. Und spätestens da war mir klar: Man kann keinen Tag so wiederholen, wie man ihn erlebt hat, sondern einfach nur das beste aus dem Neuen machen. Das gilt auch für die Japan Reise. Wir waren an vielen Orten, die ich bereits besucht hatte, und doch war für mich diese Reise wieder eine ganz eigene, neue Erfahrung.

Diese Erfahrung dann auch noch direkt teilen zu können ist etwas ganz besonderes, und ich bin sehr froh, dass Imogen bereit war, mit mir eine Crashtour durch Japan in den Flitterwochen zu machen. Wir haben noch so manches in dieser Zeit erlebt, für das einfach kein Platz mehr war, aber so haben wir wenigstens noch etwas zu erzählen, wenn wir wieder da sind.

Morgen werden wir nach Osaka fahren und uns auf den Flug nach Langkawi vorbereiten. Nach den ganzen Marschtagen hat sich Imogen die Woche am Strand redlich verdient, auch wenn wir beide traurig sind, uns von Japan verabschieden zu müssen. Aber wenigstens in einem Punkt bin ich getröstet: man soll aufhören, wenn es am Besten ist, und der heutige Tag ist dafür hervorragend qualifiziert.

Ich hoffe, es hat euch Spass gemacht, uns auf dieser Reise zu begleiten, und wir verabschieden uns von euch und Japan mit ein paar letzten Eindrücken von Miyajima.

Ein letzter wehmütiger Blick und dann heisst es Abschied nehmen.

Japan verleiht Flüüüügel 

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – wir bereiten uns schon einmal darauf vor, bei der nächsten Reise noch mehr Berge zu besteigen, noch mehr Tempel zu besichtigen und mindestens einen tödlichen Dschungel zu durchqueren. Ganbatte ihr Weltenbummler!

Tag 13 Kyoto:One night in Kyoto

Da unsere Tage normal so dicht bepackt sind, dass wir gegen 2000 Uhr im Hotel auf die Betten fallen, hatte wir uns für den letzten Tag in Kyoto eine Abwechslung überlegt. So verbrachten wir den Vormittag und den Großteil des Nachmitags im Zimmer, und machten uns dann gegen Abends auf, einmal Kyoto bei Nacht zu erkunden.
Da ich bereits am Vortag auf den Yodobashi neugierig geworden bin, eine Art Turbo-Kaufhaus für eher männliches Publikum, erschlich ich mir mit Dackelblick eine Tour durch die interessantesten Abteilungen. So, die meisten dürfen jetzt abschalten, denn meine Begeisterung wird überwiegend so fesselnd sein wie eine Frau die vom Schuhekaufen erzählt. Nur dass Yodobashi viel viel viel besser ist!

Bereits am Eingang konnte sich der Otaku an einer opulenten virtuellen Speisekarte vorglühen 

 

Jedes denkbare und auch so manches undenkbare Gerät war hier erhältlich. Ob Kameras vom 10 Euro Knipser bis zur 5000 Euro Kamera mit einem Objektiv, das mit 50 Zentimeter und gut 8 kg nicht mehr richtig handlich war, ob Bausätze für Gundam oder eine der anderen Dutzenden Mech Serien, die beklopptesten Japan Only Videospiele – hier fand sich alles. Besonders lustig fand ich ein PS3 Spiel in Manga Optik, dessen einziger  Inhalt es war, möglichst erfolgreich in der Ubahn unter Röcke zu fotografieren und nicht erwischt zu werden. Oder Strip-Billard mit Schulmädchen. Oder Tokyo Zoo, wo Tokyo als postnukleare Geisterstadt von blutrünstigen Schosshunden beherrscht wird (in der Demo riss ein kleiner Pekinese einen Hirsch). Und all das wird nicht verstohlen unter der Ladentheke gehandelt, ich sah zwei Geschäftsmänner, die auf einmal wie kleine Jungs auf und ab hüpften und sich mit glücklichen „Sugoi“ Rufen das Ubahnspiel packten. Endlich in aller Ruhe sexuell belästigen ohne die nervigen Anzeigen!

 


Einer der vielen Gänge in der Modellbau Abteilung. Beim Kaufen bevorzugen die Männer die Roboter mit den größten und meisten Kanonen.

Ein Besuch in einem großen Kaufhaus ist sehr aufschlussreich, wie das Herz eines Japaners so tickt. Da ich für einen Hausgeräte Hersteller arbeite, wollte ich natürlich einmal checken, wie das in Japan aussieht. Ich denke es ist genug gesagt, dass die Hausgeräte Abteilung nicht einmal halb so groß war wie die Sektion, wo man sich für 100 Yen billiges Plastik Spielzeug aus Automaten ziehen konnte. Die wenigen verwaisten Geräte, die keine Reiskocher waren, standen ungewollt in einer Ecke und setzten Staub an. Das liegt daran, dass die Japaner mit ihrem sparsamen Platz zu Hause keine Küche wollen.

Dafür gibt es alle drei Meter ein kleines Lokal, und da sitzt immer jemand, der gerade isst. Und man kann es schon verstehen: Warum eine Küche und selber mit teuren Zutaten kochen, wenns um die Ecke ein Riesen Ramen für 450 Yen gibt?

Da meine Frau mit meinem Robinson Crusoe Gedächtnisbart  nicht restlos begeistert ist – ich finde ihn verwegen und man kann damit so schön  Japaner erschrecken – sichteten wir das ebenfalls sehr magere Rasierer Angebot. Es gab mehr elektrische Damenbart Stifte als Rasierer für Männer, und das Schönheitsideal war merkwürdig bis verstörend.


Wer würde sich von dieser Werbung zum Kauf animieren lassen? Könnte aber ein Verkaufsschlager im Glockenbach Viertel sein.

Irgendwann konnte mich Imogen dann doch von den vielen verrückten Sachen loseisen, und wir machten uns auf zur Kawaramachi-Sanjo. Hier ein bisschen Hilfe für den Reisenden: Kreuzungen großer Strassen bestehen aus den beiden Strassen Namen. Kreuzt also Kawaramachi-Dori  die Sanjo-Dori…  Damit verläuft man sich gleich viel seltener. Für das tapfere Ausharren im Maennerparadies  („Frau Wiedenmann, holen sie bitte ihren Mann bei den 3D Camcordern ab“) bekam Imogen erst einmal einen großen Frozen Yoghurt mit allen Schikanen. Ich glaube die Yami-Yoghurt Verkäuferin wird heute bei einem Schrein eine Münze für mich werfen, da ich Imogen das Bestellsystem erklärte. Man wählt die Größe der Grundportion, eines oder mehrere Toppings und eine oder mehrere Soßen.  Die Verkäuferin  war sprachlos verzweifelt, da ihr Englisch Wortschatz und das pantomimische Vokabular meiner Frau dieser Aufgabe nicht gewachsen waren.

 

Der Bestellvorgang hatte seine Tücken aber am Schluss hat’s geschmeckt. Man beachte, wie glücklich Imogen mit Essen und wie glücklich sie ohne Essen auf den Fotos ist.

Die Kawaramachi hat zwei sehr unterschiedliche Gesichter. Biegt man von der Hauptstraße in die westlichen Gassen, so ist man in der Shopping Zone. Es wirkt ein wenig wie ein Einkaufszentrum in einer amerikanischen Teenie Komödie. Herrlich ist, das selbst an einem Sonntag Abend um Neun noch viele Geschäfte offen haben.

 

Während die Frauen in Japan noch mit der Emanzipation kämpfen, haben die Rentner ein eisernes Regime. Hier ein Laden mit edlen Gehstoecken, für den Greis der sich wieder wie ein Samurai fühlen will. 

Richtig interessant aber ist die Ostseite der Kawaramachi. Hier ist das gesamte Nachtleben auf 2 Blocks in winzigen Gassen verstreut. Obwohl es Sonntag Abend war, strömten die Menschen durch die Strassen.  Leider war fotografieren nicht möglich, da alle 5 Meter ein freundlicher junger Mann im schwarzen Anzug und Tokyo Hotel look stand. Die Knaben mit dem lustigen 80er Wuschelkopf sind ein fester Bestandteil des japanischen Rotlichtmilieus und auch gerne mit der Yakuza verbandelt. Sie zu knipsen wäre mir zwar ein dokumentarisches Vergnügen gewesen, aber es ist reine Glückssache, wie humorvoll das der jeweilige Kerl sieht.

Die meisten sind ja harmlos und einfach dafür da, den alleine gehenden Damen oder Herren einen ganz tollen Club zu empfehlen. Man darf sich aber nicht wundern, wenn das ein handfester Stripclub oder ein sogenannter Gentlemens Club ist. Wer einem „Host“ bzw. „Hawker“ folgt, weiß in Japan normal, worauf  er sich einlässt. Als Paar hier entlang zu gehen ist sehr angenehm, da man weder von den Männern noch von den Frauen angesprochen wird. Auch extrem aufgebrezelte junge Frauen standen im Spalier vor Bars mit abwechslungsreichen Namen wie „Lady“ oder „Sunshine“ oder auch „Sunshine Lady“.

Allein gehende Männer werden angeblinkert, und weil der Mann spontan soooo sympathisch ist, kann er doch mit zum Tänzen kommen. Drin verschwinden die Frauen in der Menge, und der Barkeeper präsentiert fröhlich eine Rechnung von gut 100 Euro für ein paar Bier. Da ich im allgemeinen sehr gutgläubig bin, hatte man mir das bei meiner ersten Reise eingebläut, und in dieser Strasse konnte man das wunderbar beobachten.

In den Strassen und Gassen wimmelte es vor gutgelaunten Japanern. Anfangs waren wir erstaunt, wieviel gelacht, gescherzt und sogar für japanische Verhältnisse schon sehr unanständig Händchen gehalten wurde. Als dann aber zum dritten Mal ein breit grinsender Mann mit feuerroter Nase auf die Strasse stolperte, bemerkten wir, dass wir so ziemlich die einzigen nicht Betrunkenen waren. Vor allem die Frauen waren oft besser betankt als ein Übersee Frachtschiff.

 

Schlucken, sitzen, schmusen: Dank Alkohol enthemmt kuschelten sich viele Paare am Flussufer zusammen. Wer denkt ich übertreibe  – jedes Händchen haltende Paar hatte eine Fahne, bei der jeder Kinder schon vom Einatmen einen Vollrausch bekommen hatten.

 

Wenigstens klärte diese Liebesmeile unsere Frage vom Vortag: Während in Bayern die Biergestuetzte Beziehungsfindung im großen Stil eher auf das Oktoberfest begrenzt ist, sichert der Alkohol in Japan den Arterhalt. Das hört sich jetzt gemein an, aber wenn man im Kontrast sieht, wie kontrolliert, höflich und zurückhaltend die Menschen im Alltag sind, dass ich da schon mitleide, und dann die ausgelassene Stimmung am Abend, dann kann man sich sehr gut vorstellen, wie sich die Leute hier erstmal etwas Mut antrinken, bevors persönlich wird.

Den Abend schlossen wir mit einem romantischen Verirren im Kyotoer Hauptbahnhof ab. Dieses riesige Gebäude ist ebenso eindrucksvoll wie verwirrend, da es bis zu 10 Etagen in die Höhe geht, die ohne ersichtliche Logik wild miteinander verbunden sind. Die Enwohner Kyotos mögen den Bahnhof nicht, da er ihnen zu  wenig traditionell ist, aber bei Leuten, die bei einem Kunsthandwerksladen neben  Kalliegraphiepinseln Disney Flaggen verkaufen, wirkt so ein Argument etwas dünn.

Eine der vielen Hallen im Bahnhof Kyotos. Hier kann man sich nach Herzenslust verlaufen.

 

Auf der Suche nach einem Ausgang kamen wir zu einer schönen Dachpassage, wie wie Perlen an einer Schnur im 10 Meter Abstand Pärchen saßen. Wenn einfach wenig Platz ist, lernt man anscheinend, sich seine Intimsphäre auch im öffentlichen Raum zu nehmen. Oder es kann daran liegen, dass auch hier die Augen nicht nur vom Fieber der Liebe glasig waren. Mein Mitgefuehlspreis des Abends geht an einen jungen Mann, dessen Verabredung besinnungslos an einer Säule lag. Er saß mit geknicktem Gesichtsausdruck da, und versuchte der Frau ab und zu etwas Tee einzuflößen. Wie muss das sein, wenn man sich bei der Verabredung nicht nur über seine Klamotten Gedanken machen muss, sondern auch noch die perfekte Balance zwischen gemeinsamen Mut antrinken und den anderen nicht an einen Vollrausch verlieren finden muss?

Wir haben das da einfacher: Ich drückte die Hand meiner Frau, genoss ihr liebevolles Lächeln, und wir gingen Hand in Hand zum Hotel zurück.

Tag 12 Kyoto : Sie koennen soviel fahren wie sie wollen. Wir liefen weiter als wir konnten.

So langsam nähert sich das Ende unserer Japanreise. Auf dem Papier fliegen wir in 5 Tagen ab, aber es gibt so vieles zu sehen und erleben, dass sich bei mir schon ein bisschen der Abschiedsblues ankündigt. Natürlich gibt es den einen oder anderen Tag, wo man sich nach zig schönen Orten und vielen Tageskilometern ein wenig reisemuede fühlt, aber das verfliegt schnell bei dem Gedanken, wie schoen das erlebte ist. Dazu kommt, dass ich Japan ausgesprochen gerne mag, da ich mich bei den Japanern sehr wohl fühle. Die Leute sind technikbegeistert, fröhlich und in allem enthusiastisch. Das ist wirklich ansteckend. Imogen gefällt es hier ebenfalls sehr, wenn auch aus anderen Gründen. Die meisten Pluspunkte verdient Japan aus Sicht (m)einer Frau, dass es so gut wie an jeder Ecke blitzsaubere, gratis benutzbare öffentliche Toiletten gibt. Für den weiblichen Harndrang ist auf eine Art und Weise gesorgt, dass es für mich schon beinahe etwas religiös-fanatisches hat. Pragmatisch betrachtet trinken die Leute hier allerdings unmengen grünen Tee, da drückt es dem Volk auch mehr auf der Blase.

 

Mit solch fürstlicher Versorgung lässt sich die Frau auch auf längere Unternehmungen locken, und so nutzten wir einen herrlich sonnigen Tag, um das Kyoto Bus Tagesticket ordentlich auszureizen. Soviel kann ich vorneweg verraten: All you can Bus ist wie all you can eat – wer hier den Wirt armfressen will, verrenkt sich vorher den Magen.

 

Deutscher Erfindergeist trifft japanische Technologie: Mein patentiertes Sockenschnelltrockungsverfahren. Bei nicht frisch gewaschenen Socken nur in gut gelüfteten Räumen anwenden!

 

Für eine handvoll Yen: dieser handliche Muenzhaufen ist der genau abgezählte Betrag für zwei Tageskarten. Die Angestellten am Schalter freuten sich aus unerfindlichen Gründen nicht über unsere Kreative bezahlweise.  

 

Bereits am frühen Morgen saßen wir im Bus zum Kiyomizu Tempel, der für seine Steilhang Lage und die heilkräftige Quelle (mizu = Wasser) bekannt ist. Auch bei diesem Schrein setzten sich zwei unserer Sightseeing Themen fort: erstens werden momentan ca. 30% aller Schreine in Japan restauriert und in formschönen Baugeruesten verpackt, und zweitens ist das Erleben körperlicher Limits eine stete Herausforderung für meine Frau und mich.

Auf uns wirkte Kiyomizu ein wenig wie ein spirituelles Disneyland. Bereits direkt am Eingang gab es zwei eiserne Speere, an denen die Touristen in bester Hau den Lukas Manier ihre Kräfte erproben konnten. Bei dem kleineren schafften dies viele (er wog nur ca. 25 kg). Der groessere ist der Speer von Benkai, ein legendaeren Kriegermoench, der das Ding als Waffe geführt haben soll. Angesichts der gut 100 kilo Gewicht und dem sehr glatten Metall kann ich mir das aber nur schwer vorstellen. Obwohl ich mich wirklich angestrengt habe, rutschte ich immer wieder ab und bekam das Ding einfach nicht in die Höhe. Bei Flitterwochen eine missverständliche Aussage, ich meine damit natürlich diesen Eisenspeer. Also…. Wahrscheinlich sage ich besser einfach nichts mehr.

 

Ordentliches Besichtigen ist anstrengend. Wir konnten sehr gut nachempfinden, wie es dem Jungen ging.

 

Ich beim Aufwärmen vor dem großen Benkai Speer. Am Abend habe ich dann nachgelesen, wie man ihn anheben kann. Es gibt einfach unter dem oberen Holzrahmen einen bequemen Haltegriff. Wenn ihr die Leute beeindrucken wollt, merkt euch das.

 

Aber wo ich schon so eine schöne Überleitung habe: Die zweite Attraktion waren die beiden Liebessteine. Der Legende nach sind diese Felsen dem Gott der Liebe gesegnet, dessen treuer Helfer ein ziemlich psychopathisch aussehender Hase mit feuerroten Augen ist. Wenn man nun den ersten Felsen mit geschlossenen Augen berührt und dann blind zum zweiten Felsen läuft (ca. 20 Meter), findet man angeblich seinen Partner fürs Leben. Für eine leichte Ironie sorgte, dass die meisten Anwärter scheiterten, weil sie in den dichtgepackten Touristenmassen hängen blieben. Das war bestes Zen: Bei der Suche nach dem wahren Partner werden wir durch zu viele Menschen abgelenkt.

Gleich um die Ecke des zweiten Liebessteins stand noch ein kleiner Schrein für den Schutzgott der Frauen. Hinter diesem Schrein steht eine Zeder, an der japanische Frauen Voodoopuppen ihrer Feinde genagelt haben, damit der Schutzgott den Herren saures gibt. Es ist müßig zu erwähnen, dass der Baum unzählige Löcher von Nägeln hat.

Der Liebesgott und sein Helfer, Psychohase. Meine Bewerbung als Liebesgott in Ausbildung wurde leider trotz der überzeugenden Darbietung knapp abgelehnt. 

Fotobewertung nach dem Zieleinlauf. Der kritische Schiedsrichter urteilt über das Liebesglück hoffnungsvoller junger Japanerinnen.

 

Imogen beim symbolischen Feinde verfluchen. Wir haben zwar gar keine, aber ein bisschen Fluch auf Vorrat ist doch ein gutes Gefühl. Mir war nur etwas unheimlich, mit welcher Begeisterung sie das durchführte. Memo an mich: extra lieb zur Frau sein!

 

Den Schluck aus der heiligen Quelle sparten wir uns dann. Es standen mehr Leute an als beim Bananentag in der damaligen DDR und Heilkräfte bringen nichts, wenn man vorher an Altersschwäche gestorben ist.

Um auch einen Bildungsanspruch zu erfüllen: Drei Wasserstrahlen, drei Wirkungen. Gesundheit, Liebe und Erfolg bei Prüfungen sind im Angebot. Von allen dreien zu trinken gilt als gierig.

 

Anschliessend fuhren wir mit dem Bus Richtung Ginkakuji (silberner Pavillon), und stiegen zwei Stationen vorher aus, um uns dem Schrein über die Strasse der Philosophen zu nähern. Und hier war im wahrsten Sinne des Wortes der Weg das Ziel, da wir diesen Pfad zuerst nicht gefunden haben. Wir fanden zwei junge Japanerinnen im Kimono, die geduldig unsere Frage anhörten, aufmerksam die Karte studierten und dann den berühmten „Space Out“ Blick bekamen. Um nicht bis zum nächsten Tag in verlegener Stille zu verharren, fragte ich noch einmal nach und erfuhr, dass auch die Japanerinnen Touristinnen waren. Und sie hatten sich offensichtlich hoffnungslos verlaufen, denn kaum waren wir weitergegangen, hefteten sie sich unaufdringlich mit ca. 50 Meter Abstand an uns. Ich fühlte mich wie ein stolzer Entenhäuptling , dem die Kücken folgen. Lag vielleicht auch daran, dass ich trotz Planlosigkeit unerschütterliche Zuversicht ausstrahlte: Ein Mann verirrt sich nie. Er wird nur gelegentlich von heimtückischen Ortswechseln seiner Umgebung überfallen.

Mit einem kleinen Umweg fanden wir dann auch die Strasse der Philosophen und folgten ihr ergriffen. Eine Erkenntnis jagte hier die nächste: ich erkenne, dass die Füße schmerzen. Wenn auf dem Philosophenweg keine Philosophen sind, ist es trotzdem heiß. Das Wasser fließt wie das Sein, aber im Moment hab ich einfach einen Mords Durst.  Wenn ein Tourist in den Bach fällt, und keiner zieht ihn raus, ist er dann nass?

 

Werde ich beim Tempel viel Essen und Trinken oder sehr viel? Gedanken von unergründlicher Tiefe kommen beim Weg der Philosophen wie von selbst.

 

Für meine Frau war der schönste Moment dieses Weges wohl die Futterbuden beim Schrein. Wir waren bereits 5 Stunden unterwegs, und so stürzte sie sich auf alles, das essbar war. Besonders begeistert war sie von den eingelegten Gurken am Spieß. Die waren wirklich lecker und bei der Hitze genau das richtige, wenn auch in dem Aussehen etwas gewohnungsbeduerftig. Die Japaner vertilgen diese Gurken in Massen.
Nach einer gründlichen Wanderung durch den schönen Garten des Ginkakuji war die nächste Busfahrt zum Fluss fällig. Anscheinend sind Flussufer international genormte Entspannungsorte, da sich hier die Japaner vom Japaner sein erholten und wie ganz normale Menschen picknickten, spazieren gingen, schliefen, oder musizierten. Ja, musizierten. Im Gegenzug zu den unmotivierten Bongobummlern in Englischen Garten übten hier komplette Blechbläserensembles. Da liegt aber auch daran, dass üben zu Hause aufgrund der (nicht sprichwörtlich sondern wortwörtlich) Wände aus  Papier schwer möglich ist.

Wir liessen uns in der Nähe eines größere Picknicks nieder und beobachten junge erwachsene Japaner beim Anbandeln. Das war wie eine Zeitreise in die Kindheit:  es wurde Räuber und Gendarme gespielt, Völkerball, oder blinde Kuh, und immer wurde jede Gelegenheit genutzt, um einmal herzhaft „aus Versehen“ zuzupacken (die Männer) bzw. laut zu kichern und davonzulaufen (die Frauen). Entweder gibt es eine geheime weitere Stufe, wie da dann doch noch zeugungsfähige Paare daraus werden, oder der Japaner genießt die spaßigen Teile des Lebens und überlässt den Bevoelkerungserhalt geheimen unterirdischen Klonlabors. Ich tippe auf zweiteres.

Wer niemand zum Räubern oder Gendarmieren hatte, meditierte eben solo

 

Was nun folgte, ist mir aus der heutigen Sicht nicht ganz schlüssig: Nach dem Ausruhen am Fluss waren wir zumindest aus dem Tal des Elends in die Strasse der Erschöpfung eingebogen. Dennoch beschlossen wir, noch einen kleinen Abstecher durch den Park des Imperialen Palasts zu machen. Und kleiner Abstecher ist hier relativ: Abkürzungen sind nicht wirklich möglich, und der Park ist sehr weitflächig.

Die großzügige Gestaltung der Flächen dort übte einen zermürbenden Charme auf uns aus, da zumindest ich nur noch unendliche Kieswege sah. Meine Frau war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich ansprechbar, aber ich glaube, sie hat ihre letzten Reserven mobilisiert. Ihr „jetzt gehen wir aber schon langsam zurück ins Hotel“ ließ im Ton keinen Zweifel, dass dies eine Aussage und kein Diskussionsangebot war.

Ich bin schon sehr gespannt, wie sehr sie sich darüber freut, dass wir übermorgen noch die Insel Miyajima abklappern. Sie hat bei meiner Ankündigung, dass die Strecken bisher gegen den Berg dort kinderleichtes Aufwärmtraining waren mit einem strahlenden Lächeln reagiert. Also zumindest habe ich ihre Zähne gesehen. Das Busticket hat die Stadt übrigens nicht Arm gemacht. Wir haben es gerade so geschafft, genügend der überfüllten Busse zu nehmen, um nicht teurer als Einzelfahrten zu kommen. Das nächste Mal werde ich nicht versuchen, die perfekte Nutzung einer Tageskarte zu forcieren.

Der imperiale Park in Kyoto. Unendliche Weiten….

 

Tag 10 + 11 Kyoto : Mit Liebe aus Japan

Japan ist ein Land mit hunderttausend Reizen. Bestimmt gibt es da gute Studien, weshalb sich eine hohe Bevölkerungsdichte insofern auswirkt, dass kulturell der Schwenk von Schlichtheit und Ästhetik zu knalligsten Farben und Kitsch gemacht wird. Für den Besucher ist dieser Kontrast mitunter etwas schwer verdaulich. Gestern war der nächste Reisetag, und so packten wir Hoelli unseren Todeskoffer und machten uns auf den Weg nach Kyoto.

   

Eine der dezenteren Sendungen zur Frühstückszeit. Wenn ein Kind mit so etwas aufwächst, wird es keine Umweltreize mehr geben, die es als Erwachsenen von der Arbeit ablenken. Das Geheimnis der japanischen Wirtschaft ist gelüftet.

Der Koffer ist nun auch im Halb-Pappe Halb-Holz Boden gebrochen. Konkret bedeutet das, dass beim Hinuntertragen dem werten Packesel eine unfreiwillige Akupunktur mit scharfen Spitzen verpasst wird. Nach einer laengeren Treppe fuehlt man sich, als ob man vergeblich versucht haette, ein Stachelschwein zu vergewaltigen. 

Da wir sehr früh dran waren, und deswegen einchecken noch nicht möglich war, beschlossen wir die Zeit wieder einmal für eine Erkundungstour zu nutzen. Das ist an sich in Kyoto sehr lohnenswert, nur hatte ich die Temperatur ein wenig unterschätzt. Tapfer schleiften wir uns zu dem schönen Park des goldenen Pavillons. Unser Timing war nicht so ganz Ideal, da anscheinend die gesamten japanischen Schulen ihre Kinder vorgestern nach Nara und gestern nach Kyoto geschickt haben. Und so wateten wir durch eine Flut an Schulkindern, ich mit immer roeter werdender Haut und Imogen mit einer feuerroten Nase, da sie auf irgend etwas in der Luft allergisch war. Da waren wir nun, an einem Ort des UNESCO Weltkulturerbes, und beide zu erschöpft, um den Fotoapparat zu heben und noch ein Bild zu machen. 


Hier war es noch relativ leer. Wo waren die kleinen bunten Außerirdischen aus dem Fernsehen um die Kinder mitzunehmen?
Fein gekleidete Damen auf dem Weg in den Pavillon zum Tee trinken. Da war’s natürlich schoen ruhig.

An sich gibt es gar nicht viel mehr zu erzählen – manchmal nimmt man sich einfach zu viel vor. Ich war bis in die Haarspitzen motiviert, meiner geliebten Frau dieses Highlight japanischer Architektur als ultimatives Erlebniszu gestalten, aber der Funke wollte nicht ganz zünden. Das liegt weniger am Ort als vielmehr vielleicht daran, dass wir seit Tagen nichts anderes machen, als von Tempel zu Tempel und Park zu Park zu marschieren. Bei so vielen Eindrücken ist der Geist einfach satt. 

Als wir dann noch in ein fast schon als konstruktiv zu bezeichnendes Interview mit einer weiteren Schuelergruppe gerieten, erfuhren wir von einem schönen Zen-Garten und marschierten dort hin. Hier waren viel weniger Menschen, und wir ruhten unsere Augen damit aus, indem wir einfach gedankenverloren auf die 10x25m weißen Kies blickten.  

Die wahre Wirkung entfaltet der Zengarten, wenn man an japanischer Reizflut leidet. Da ist dieses weniger plötzlich viel mehr.



Der Steingarten wurde von vielen Leuten genutzt, um ein bisschen ihre Augen auszuruhen… Äh meditieren.

Am Abend war dann ein Stop bei klassischem amerikanischen Fastfood nötig. Das japanische Essen schmeckt super, aber nach einer Woche Reis, hauchdünnen Scheiben von Fleisch und Fisch mit Fisch und Fisch habe ich einfach ein billiges Stück Hackfleisch in Form eines Hamburgers gebraucht. 

Als ich danach noch im Hotel duschte, war meine Haut in einem eleganten tiefen Dunkelrot. Wir hatten den ganzen Tag über eine Diskussion, dass ich mich eincremen soll. Ich finde man klebt dann aber den ganzen Tag, also vertraute ich auf die Macht männlicher Physis und setzte mich gegen meine Frau durch. Ein herrliches Beispiel für einen Pyrrhussieg: Heute sitze ich geschafft im Hotelzimmer und versuche, die verbrannte Haut zu kühlen, während Imogen mit der ihr eigenen Energie herumwuselt und bereits zwei Einkaufstouren gemacht hat. 

Am Ende hat mich heute Abend doch noch einmal der Reiz gelockt, ein bisschen was zu unternehmen. Um etwas männliches zu vollbringen, ging ich mit Imogen zum Currypalast, wo ich bei meiner letzten Reise die verschiedenen Schaerfestufen probiert habe. Da ich das letzte Mal genau getestet hatte, wo mein Limit liegt, orderte ich Stufe 7 von 10 mit größerem Reis. Meine Frau nahm das Spinat Curry mit Schärfe Grad 0. Nach einem halben Teller probierte ich einmal bei ihr, konnte das Babymilde Gericht aber nicht erfassen.

Es war super lecker, und um ein Haar wäre mir das „Perfect Game“ gelungen, aber nach 2/3 der Portion lösten sich erste Teile meines Gaumens auf, und ich müsste noch eisgekühlte Milch nachbestellen. Der Restaurant Chef lächelte wissend und drückte mir diskret noch eine kleine Dose mit „Gum Syrup“ in die Hand. Das ist wirklich ein Wunderzeug, man spült das einmal durch den Mund, und das lodernde Inferno weicht einer zuckersüßen Schmerzfreiheit.

Ein Curry der Stufe 7 benötigt bereits gründliche mentale Vorbereitung

Vor dem Beginn, alles entspannt

Bauch voll, Schweiß auf der Stirn – a bisserl brenna tuats scho

Als wir wieder beim Hotel waren, wollte ich unbedingt, wissen, was im Untergeschoss ist. Wir fanden mehrere kleine Restaurants, einen abgefahrenen Laden für japanische Trash Outfits, und die Schönheits Foto Automaten. Da wir einfach zu neugierig waren, beschlossen wir, diesen Automaten zu testen. Und wir haben selten mehr für vier Euro gelacht, auch die anwesenden jungen Japanerinnen hatten einen riesen Spass, uns zwei bekloppten Gaijin beim Foto machen zu beobachten. Ich mach mir jetzt noch in die Hosen, wenn ich daran denke, was der Automat aus einem macht. Da leider immer nur ein Exemplar gedruckt wird, und wir nicht kapiert haben,wie man die Mail verschickt, werden wir wohl noch einmal eine Runde drehen, da will man nie wieder einen anderen Fotoautomaten. Es werden sogar bei allen Fotos die Posen vorgegeben. Aber genug geredet – Bühne frei, Stefan und Immi „Lady in Tokyo“ Style!

Meine Frau vor der großen Verwandlung

KAWAIIIIIIIIIIIIII

SUPERU SPARKLU!

BRUTIFUL EYESU!

HERROOOOOO WE LOL YOU!

HAPPY ANNIVERSARYU!

WE HEART YOU!

Die fertig ausgedruckte Karte. Aus Produktionssicht an sich wirklich hochwertig. Das ist unsere neue offizielle Japan Flitterwochen Grusskarte

Tag 8 + 9 Nara: Kuscheltiere und Fragebogengangs

Bereits früh am Morgen ging es weiter Richtung Nara. Ich hatte ganz vergessen, wie Nara von Nikko aus liegt, und mit allen Regionalzuegen waren wir auf einmal den gesamten Tag unterwegs, bis wir in Nara waren. Dabei hatten wir jede Menge Gelegenheit, uns im komfortablen Hochgeschwindigkeitszug auszuruhen. Die japanischen Bahnangestellten lassen etwas den Eindruck eines Bienenstocks aufkommen, da jede Aufgabe schnell und effizient ausgeführt wird. Als unser Zug am Bahnhof Tokyo noch vorbereitet wurde, wuselten Mannschaften von Reinigungsdrohnen von Wagen zu Wagen und trimmten den Zug auf den Japanischen Hygiene Standard. Das bedeutet, dass ich mir ernsthaft überlege, meine Frau bei der Geburt des ersten Kindes nach Japan zu fahren und die Geburt im Shinkansen einzuleiten, jeder normale Kreissaal ist eine Müllhalde dagegen. 

   

Erstes Testsitzen, jetzt entspannen und pressen.



Wir sind Reinigungspersonal. Widerstand ist zwecklos.

Als wir dann endlich in Nara ankamen, goss es – welch Überraschung – wieder aus allen Rohren. Ich hab’s sonst nicht so mit dem Wetter, aber in diesem Moment habe ich das doch persönlich genommen. Wir reisen bei strahlendem Sonnenschein ab, und wenn wir dann mit dem riesigen Koffer am Zielbahnhof stehen, sind die 10% Niederschlagswahrscheinlichkeit in einen Wolkenbruch ausgeartet. Nicht, dass der Koffer nicht eh schon eine Katastrophe ist. Wir haben ihn schon Judas getauft, da dieses einstige Schnäppchen aus Berlin nur in einem Punkt zuverlässig ist: Wenn man ihn bei einer besonders langen Treppe hochwuchten will, reißt auf halber Strecke der entsprechende Griff ab und eine  Kofferlawine walzt unschuldige japanische Bürger platt. Wenigstens hat der Koffer inzwischen nur noch einen Griff, danach kann  ich  aufhören so zu tun, als wuerde ich mein Gepäck beherrschen und nicht anders rum, und auf diesem Hoellending die Treppen nach unten reiten, während ich den Walkuerenritt jodle.

Im Hotel angekommen spürte Imogen, dass ich etwas benötige, um mit dem Universum meinen Frieden zu schließen. So erfragte sie, wo es etwas mit extra viel Fleisch zu essen gibt. Und in der Tat, obwohl wir auch bei dem Restaurant zuerst große Sorgen hatten, unser Geld wie beim Grillen in Tokyo zu verfeuern, da die Bedienung nicht ein einziges Wort englisch sprach, hatten wir mit Shabu-Shabu mehr Glück: Nicht nur konnten wir essen, bis wir halb gekugelt sind, sondern die Getränke waren auch noch dabei.



Shabu-Shabu ist die japanische Antwort auf Fondue. Man kocht Gemüse, Fleisch, einfach alles in dieser Schale. Die Kellner haetten sich bei meinem Anblick beinahe in die Küchenmesser geworfen, da an diesem Tag all you can eat ohne Zeitlimit war

Bitte noch ein Sake – die liebevolle Anfrage bei der Ehefrau wurde abgewiesen. War vielleicht auch besser so, sonst hatte ich mit den Fleischscheiben getanzt und die putzigen kleinen Kellner geknuddelt.

Am naechsten Morgen deckten wir uns mit einer gewaltigen Drei-Boxen-Voll-Koestlichkeiten Picknick Ladung ein. Mit dem Rucksack voller leckerem Essen machten wir uns auf den Weg zu den Tempelanlagen. Meine Frau hatte endlich die Gelegenheit, umfangreich das Wort „Kawaiiiiiiii“ zu ueben, da in der Innenstadt die ganzen Rehe aufs niedlichste Herumstanden. Gut ist ja auch nicht schwer, wenn man riesengrosse unschuldige Rehaugen hat. Mich beschäftigten eher praktische Überlegungen: gibt es bei diesem Überangebot an Wild ordentliche Rezepte, und was macht man mit den Tieren, die mit Herzverfettung einfach tot umfallen? Gibt es Kadaver-Beamte, die dafür sorgen, dass nicht traumatisierte Frauen und Schulkinder versorgt werden müssen? Bei so vielen frei laufenden Tieren, die ständig Leckereien bekommen und fetter als die sie fütternden Amerikanischen Touristen sind, muss doch immer wieder eines seinem Schöpfer gegenüber treten und mit einem zarten Mantel aus Fliegen die Luft aromatisch anreichern.

Heit gibt’s a Rehragout…



Aber wenn die dann so Süß aussehen, wird die Menueplanung von der Frau mit Todesdrohungen unterbrochen



Jung und alt holen sich ihre Dosis Niedlichkeit ab.

Nach diesem Spiessrutenlauf der Kuscheltiere kamen wir beim großen Todaij Tempel an. Das größte von Hand errichtete Holzgebaeude der Welt ist über meinen Humor hinaus erhaben und Imogen und ich haben die tolle Atmosphäre auf uns wirken lassen. Da wir gestern Abend nach meinem Sake-Fleischmassaker noch „Germanys Next Topmodel“ gekuckt hatten, probierten wir spaßeshalber ein paar der Posingtips für die Nachwuchsmodels aus. Und wir waren echt verblüfft, dass dabei wirklich geniale Fotos herauskommen, vom Unterhaltungswert für die Japaner einmal ganz abgesehen, wenn man „Jumps“, „Steps“ und „Bends“ einfordert und ablichtet.



Ein sogenannter „Jump“, also im Sprung geschossen. Meine Frau ist für mich eh die schönste, aber das sieht echt toll aus. Ach ja, berühmter Tempel im Hintergrund…



Imogen beim „Streichel wo es Dich schmerzt“ Buddha. Ich frag mich wie das rein technisch Leute mit Hämorriden machen.

Inzwischen hatte die Hautfarbe meiner Frau leicht grünliche Farbe angenommen und ihr entfuhr ab und zu ein unkontrollierbares Knurren. Das ist ein todsicheres Anzeichen für Hunger, denn wenn meine Liebste einen leeren Bauch hat, und ihre Geduld aufgebraucht ist, kann sie sich in ein Monstrum schierer Wut und Zerstörung verwandeln, vor dem sogar der unglaubliche Hulk seine geplatzten Hosen ziehen würde. Ich weiss nicht genau, wo mich heute wieder der Hafer gestochen hat, aber da wir ein grosses Picknick dabei hatten, wollte ich dieses mit Imogen auf dem Gipfel des Aussichtsberges von Nara einnehmen. Sie war ein bisschen misstrauisch, als sie den steilen Aufstieg sah, aber ich lockte sie mit der Versicherung, dass wir nach der nächsten Kurve da sind, zum Aufstieg. 

Und da waren sie wieder, meine zwei Probleme. Zum einen ist Imogen zwar sehr energetisch und unternehmungslustig, aber nicht sehr ausdauernd. Ich bin da eher wie ein Fels: Schwer ins Rollen zu bringen, aber dann eigentlich sehr zäh. Zum anderen war das romantische Bild eines Picknicks mit Ausblick so fest in meinem Hirn, dass ich übersah, dass für meine Frau Bergsteigen bei Unterzucker und Überhitzung eher unromantisch wirken. Ich versuchte, sie mit meiner guten Laune zu motivieren und als dies kläglich scheiterte, kamen die billigen Hinhaltetricks zum Zuge. Ich denke Evil Knievel muss sich ähnlich fühlen, wenn er auf einem brennenden Motorrad über eine Schlucht springt, und die Maschine immer schneller stürzt. Gerade als Imogen nicht mehr bereit war, mir zu Glauben, dass jetzt wirklich hinter der nächsten Biegung das Ziel erreicht ist, erreichten wir die Aussichtsstation. 

Nur noch ein paar Meter Schatz. Man beachte die leicht grünliche Hauffarbe meiner Frau.


„Geeeeeeehiiiiiiiiiirnnnnnn“ Imogen zwei Schritte vor dem Ziel und vier Schritte vor dem Amoklauf. Wenn ihr dumme Ideen habt, sorgt dafür, dass eure Frau einfach zu kaputt ist, um euch zu massakrieren.

L
Die Opfergaben stehen rechtzeitig bereit, die Füße sind für eine Massage freigelegt, die Frau strahlt. Perfektes Timing erfordert jahrelange Übung und starke Nerven.

Grundregel der Evolution ist Anpassung und Lernen. Da ich hoffentlich keine darwinistische Sackgasse bin, lernte ich und verzichtete auf die geplante Restbesteigung und den romantischen 12 km Spaziergang durch die malerischen Hügel Naras. Stattdessen folgte ein leichter Stadtbummel, gemütliches am See sitzen, ein leckeres Eis für die tapfere Frau und mindestens 5 absurde Kurzdialoge mit japanischen Schulkindern. 

Vielleicht erinnert sich der geneigte Leser an meine Beobachtung zum japanischen Englischtalent, oder vielmehr dem Mangel daran. Nach Jahrzehnten verschollener japanischer Touristen, die auf Englisch nicht einmal nach dem Weg fragen können, scheint die japanische Regierung gemerkt zu haben, dass eine Sprache nicht Erlernbar ist, wenn man arme Schulkinder 5 Jahre lang Textbücher lesen lässt. Da in Nara viele ausländische Touristen unterwegs sind, werden also anscheinend jetzt die armen Kinder ins Fegefeuer praktischer Übung geworfen. Wo ich vor fünf Jahren einfach nur dem gierigen Dammwild ausweichen musste, lauerten jetzt an jeder Ecke kleine Grüppchen japanischer Schüler, die einen Fragebogen auf Englisch durchgehen mussten. Die Kinder sprachen einen artig mit „Herrro“ an, was ich auch meinen Kindern empfehlen wuerde, wenn sie wildfremde doppelt so große Erwachsene treffen. Es folgte in phonetisch gutem Englisch die Frage nach dem Namen, dem Heimatland, ob man Japan mag, und ob die Kinder ein Foto mit einem machen dürfen. 

Das ganze durchliefen Imogen und ich dreimal anstandslos, bis wir uns fragten, ob die Kinder überhaupt verstehen, was wir antworten. Als Imogen auf die unschuldige Frage „Herrrro, how ale you?“ mit einem freundlichen „Fine, and how are you?“ antwortete, blickte Imogen in vier ratlose, kleine und verzweifelte Gesichter. Der Lehrer der Kleinen eilte ihnen zu Hilfe, und so quaeckten uns die Knirpse erleichtert „I am hungry, thank you“ zurück. Selbst wenn man die Frage erwiderte, wo die Kinder denn herkamen, konnten sie nicht auf das Antworten, das sie vor zehn Sekunden selbst gefragt hatten. Also im Ansatz und in der Motivation volle Punkte, aber an der Umsetzung hapert es sehr. Als Ausgleich für unsere fiesen Gegenfragen erheiterte ich die Kinder dann mit Muskelmann- und Dragonball Fotos und meinem besten radebrechenden Japanisch „Nihongo sugoi desu!“ Irgendwann konnten wir dann aber einfach nicht mehr (wir waren anscheinend die einzigen Touristen, die den Kindern antworteten und wurden wohl als Geheimtipp fürs Mindestsoll durchgereicht) und beschlossen, den Abend im Hotelzimmer ausklingen zu lassen, um den Frageschwadronen zu entkommen. Trotzdem ihr Knirpse: Ganbatte! Ihr schafft das schon noch!


Englisch hin oder her, blödeln ist internationales Kommunikationsmedium

Tag 7 Nikko: Mensch gegen Natur

Heute stand nach den Tempelanlagen etwas Natur auf dem Programm. Nikko liegt wunderschön in den Bergen, und bei meinem letzten Versuch hatte ich mich von den heissen Quellen in Yumoto  zum Drachenfall vorgearbeitet, bevor ich aus Erschöpfung aufgegeben hatte. Diese Schmach sollte heute getilgt werden, weshalb ich meine Frau zu der für uns unchristlichen Zeit um 0800 Uhr morgens wachrüttelte.  Der härteste Kampf war Liebe gegen Heizdecke, aber mit der schönen Hochzeit im Rücken konnte ich die Heizdecke gerade so ausstechen.

Auf dem Weg zum Bus hin zog ich in meinem Automatenroulette einen pappsuessen Kaffee Latte (was hier als „authentic mild flavor“ beworben wird). Irgendwie scheint hier jedes Getränk abseits von Wasser, Bier und Tee auf die schnelle Ermordung von Diabetikern ausgerichtet zu sein. Imogen ist da etwas klüger und geht auf meine Experimente gar nicht ein. Aber ich bin mir sicher: Eines Tages werde ich das geheime Supergetränk  finden, dass mir übermenschliche Kräfte verleiht, und in einem geheimen System a la „Der Da Vinci Code“vor unwürdigen Gaijin versteckt wird. Ich werde mich auf jeden Fall vor buddhistischen Albinomönchen hüten und meine Frau mit ein bisschen gezieltem Schlaf- und vor allem Frühstücksentzug in Kampflaune halten. So lange Imogen noch nichts im Bauch hat, würde ich ihr nicht einmal mit einer Armee Eliteninjas gegenübertreten.

Meine Frau beim Schockfrühstueck nach der grausamen Trennung von ihrer Heizdecke

Von meiner geheimen „Weltherrschaft durch japanische Superformel“ Agenda abgesehen stand einem perfekten Tag nur noch die Bezwingung unserer Wanderstrecke an. Ich erkenne an, dass Flitterwochen romantisch und geruhsam sein sollen, aber als Mann wird man eben vom Wunsch nach Eroberung und Erfolg getrieben. Imogen bevorzugt das Motto „Der Weg ist das Ziel“, und möchte den Moment geniessen. Nur, wenn wir schon bei Zen sind, gibt es ohne Ziel überhaupt einen Weg? Wenn es nicht ausgerechnet darum ginge, einen Schandfleck aus meiner Vergangenheit zu tilgen, wuerde ich meiner Frau wohl bedingungslos zustimmen, aber ich kann nicht im Land der Ehre sein und dann vor ein bisschen Wasser kneifen! Die Wettervorhersage für den Tag war schlecht bis schrecklich, aber wir fuhren optimistisch mit dem Bus in Richtung der ca. 60 Minuten entfernten Yumoto Quellen los. Während der Fahrt begann es aus vollen Eimern zu schütten, und die sonst eindrucksvolle Fahrt die Serpentinen hinauf wurde eine Blindfahrt in Nebelsuppe. Fette Tropfen klatschten gegen die Scheiben des behaglichen Busses, und lösten eine spontane Diskussion über Sinn und Unsinn einer Regenwanderung aus. An diesem Punkt waren wir nahe dran, die auf halber Strecke gelegenen heißen Chuzenji Quellen anzusteuern, aber eine kluge Ehefrau merkt, wann der Mann in seiner Kompromissfähigkeit eingeschränkt ist. Da Imogen nicht nur klug, sondern auch tapfer ist, bestand sie nicht auf dem ihr zustehenden letzten Wort, sondern stimmte einem Kompromiss zu: Start bei den Drachenfällen und dann bis zum bekanntesten Wasserfall, dem Kegon Fall, laufen. Diese schlappen 10 Kilometer sollten doch machbar sein.

Warum Hunde und Katzen essen, wenn man sie regnen lassen kann? Imogen wartet hier im Unterstand während ich zumindest ein Pflichtfoto vom ersten Wasserfall schießen will

Für dieses Foto hielt ich mit meinem Hals den Regenschirm, mit zwei Fingern der linken eine schützende Plastiktüte und den Fotoapparat, mit der rechten bediente ich den Auslöser. Das spektakuläre ist also nicht das Bild sondern der Entstehungsprozess.

Als wir den Bus verliessen, beschloss das Wetter, die Samthandschuhe auszuziehen und die Schlagringe mit extra Dornen auszupacken. Es schüttete und prasselte und goss ohne Gnade. Blitze zischten, lauter Donner krachte, hier hatte sich das who is who des Sauwetters eingefunden, um uns einmal zu zeigen was Naturgewalten so draufhaben. Mein höchster Respekt und Dank gilt meiner Ehefrau, die ohne meckern und murren hinter mir durch den Regen stapfte. Nur vor den Blitzen hatte sie ein wenig Respekt, aber wieso sollte einen auf einem Berg ein Blitz treffen? Ich beruhigte sie damit, dass neben der Strasse Strommasten waren, die für einen Blitz viel leckerer sind als eine kleine Frau im isolierenden Plastik Cape. Eigentlich war ich mir gar nicht so sicher, aber ich hielt meinen Regenschirm extra hoch, dass es zumindest mich erwischt. Ich wollte sie nur beruhigen, damit sie nicht umdreht. Damit ist auch die Frage beantwortet, was ein Menschenleben wert ist: 27 Euro Busfahrt (einfach!), die man nicht umsonst ausgegeben haben will.

In Sachen Ausrüstung trug Imogens Philosophie einen unumstrittenen Sieg davon. Welcher Mensch zieht sich schon für eine Wanderung ein T-Shirt, einen Pullover, ein Jäckchen, einen Mantel und ein Plastik Cape an? Ich als echter Mann trug ein T-Shirt mit einer leichten Sommerjacke und als Regenschutz meinen treuen und platzsparenden Knirps. Im Ernstfall zeigte sich dann aber, dass auch ein echter Mann bei 8 Grad zum Frieren beginnt, und dieses elendige Mistteil von Klappschirm ließ nach 5 Minuten Wolkenbruch das Wasser nahezu ungehindert durch, nicht, dass die 45 cm Durchmesser mich auch nur ansatzweise abgedeckt haetten. Dass man sich sein Elend nicht anmerken lassen darf (Stichwort: Seine eigene große Klappe fressen), machte meine Situation auch nicht einfacher. Zur Veranschaulichung:

               
Mann gegen Natur. Natur gewinnt.

Was die Frau davon sieht

Nach der ersten halben Stunde erlebte ich eine wundersame Wandlung meiner Laune. Wo ich sonst bei bestem Wetter mitunter schon einmal ungeduldig mit meiner Frau bin, schweißte uns der abscheuliche Regen zusammen. Während ich jeden einzelnen Regentropfen zu hasste, der mich hämisch nasstropfte, wurde mir klar, wie belanglos das genervt sein ist, wenn die Frau verträumt stehen bleibt, um einen Anblick zu genießen. Einmal davon abgesehen, dass die Motivation, im strömenden Regen innezuhalten selbst bei Imogen eingeschränkt war.  Schritt für Schritt trotzte  Familie Wiedenmann gemeinsam den Elementen.

Der Großteil des Weges führte durch das Naturschutzgebiet am See, ein beliebtes Ziel für Hobbyangler. Die standen in bestimmt genormten Abständen im See herum und genossen die Ruhe und Stille bis wir vorbeikamen. Um das Klappern meiner Zähne  überspielen, war ich sogar für meine Verhältnisse sehr gesprächig, während Imogen sich in ihre Schutzkleidung verkroch und sich an einen glücklicheren Platz voller Sonne träumte.  So bewahrte sie sich ihre Energie fuer  die gute Beobachtung auf, dass vielleicht nicht die Angler so unfähig waren, sondern am liebsten mit ihren Gummistiefeln nach uns geworfen hätten,  da meine „Singing in the Rain“ Version  nur eingeschränkt Ködertauglich ist.

Ein einsamer Fischer in einer nebligen Landschaft. Ich lieferte das Nebelhorn.

Nach gut einer Stunde stellten wir uns bei einem Angler Museum unter, damit ich dort mein Mittagsessen verputzen konnte. In jedem Supermarkt gibt es für ca. 5 Euro ein tolles abwechslungsreiches Mahl, das man auch kalt genießen kann. Schlägt meiner Meinung nach deutsches Mikrowellenfutter um Längen. Ein vorbeiziehender Parkwächter musste herzhaft lachen, als er Imogen frierend neben mir stehen gesehen hat, während ich im T-Shirt mein Essen hineinstopfte.

Eiskalt wars mir, aber geschmeckt hat es.

Nach dem Essen klärte doch tatsächlich der Himmel auf. Da die anderen Touristen weder meinen Ehrgeiz noch so tapfere Frauen hatten, sassen sie wohl aufeinander gestapelt in den heißen Quellen, während wir bei herrlichem Sonnenschein den gesamten See für uns hatten.

Tapfer trapste meine Frau in ihrer vollen Ausrüstung durch die Natur

Die Tapferkeit wurde belohnt, die Sonne kann um so wonniger genossen werden.

Vom Glorienschein der Sonne umrankt erreichten wir unser Ziel, den Kegon Wasserfall. Direkt nach der Ankunft schoss ich zwei schnelle Fotos, um einen mentalen Haken auf der To-Do Liste des Tages machen zu können. Und dann konnte ich es so richtig geniessen, mit meiner Liebsten an einem romantischen Wasserfall zu sein. Da habe ich noch eine schöne Analogie: Wir hatten den ganzen Tag verzweifelt nach einem Mülleimer gesucht. Selbst der Picknick Platz hatte zwar Toiletten und jeden erdenklichen Luxus, aber nicht einen einzigen Behälter zur Entsorgung von Plastiktüten. Wenn ihr denkt, das wäre doch nicht so schlimm, vergesst nicht, dass fast alles hier mit Fisch ist, und wenn man ca. 4 Beutel mit Fischresten im Rucksack hat, das Ganze mit einem Plastik Umhang absiegelt und anschliessend 3 Stunden in der Sonne reifen lässt…  Imogen auf jeden Fall begann irgendwann wie ein Verdurstender in der Wüste in jedem auch nur ansatzweise zylindrischen Gegenstand einen Mülleimer zu sehen. Liebevoll hielt ich sie zurück, damit sie nicht mit irrem Gelächter die Beutel in Eismaschinen stopft oder in Kinderwagen wirft.


Auch die freundlichsten Häuser hatten keine Mülleimer.

Im wechselseitigen Gluecksrausch (Foto gemacht, Müll entsorgt) beschlossen wir, uns noch den Aufzug zu gönnen, den man benötigt um den Wasserfall ordentlich sehen zu können. Auch in Japan werden Touristen wie Heilige Kühe behandelt: Viel Respekt und Freundlichkeit, aber man muss auch kräftig Melken. Die vielgepriesene Aussichtsplattform lag so tief, dass die Abendsonne den Rest vom Foto vernichtete, den nicht schon die Gischt unkenntlich gemacht hatte. Hawa-I Hemdo, Gott der Touristen, erbarmte sich aber unser und schickte noch eine Wolke vorbei, damit wir zumindest ein gemeinsames Bild vor dem Wasserfall bekamen.

Der Fotograf: ein schlaksiger schüchterner Japaner aus Hokkaido, der hier mit seinen Eltern zu Besuch war.

Den Tag schlossen wir mit einem Bier im Gemeinschaftsraum der Parklodge ab. Wir unterhielten uns noch herrlich mit einem amerikanischen Ehepaar, Andy und „Husband“. Andy ist eine quirlige Asiatin und Husband, mit bürgerlichem Namen „John“ ein herrlich trockener Brite. Bei den Beiden konnten wir anschaulich lernen, wie man auch nach vielen Jahren ein glückliches Paar ist: Andy übernahm den Großteil der Kommunikation, Husband ergänzte die notwendigen Details. Am besten gefiel uns die Geschichte, wie beim Zusammenziehen der Dobermann von Andy um ein Haar den Pekinesen von John gefressen hätte. Soviel zu neurotischen kleinen Hunden, die sich mit den Großen anlegen und nur noch mit einem Bein aus dem Maul ragen. Mit diesem herrlichen Bild schlossen wir unseren Abend ab, und fahren jetzt mit ein bisschen Wehmut weiter nach Nara, dem Ballermann der Tempeltouristen.


Ein Blick in die Lobby der Park Lodge, der Mann im Vordergrund war ein Australier der versucht, in Japan mit Snackautomaten Fuß zu fassen. Es gibt nämlich nur etwas zu trinken, nie aber zu Essen in den überall präsenten Maschinen.

Tag 5+6 Nikko: Zurueck in die Vergangenheit

Da eine Rundreise keine Rundreise ist, wenn man immer am selben Ort bleibt, war am 5. Tag unsere erste Zugfahrt angesagt. Mit dem Zug in Japan zu Reisen ist ein Vergnügen, wenn überhaupt, dann ist der einzige Nachteil am Shinkansen, dass man so schnell am Ziel ist. Gerade, wenn man sehr viel zu Fuß erkundet, ist es eine Wohltat, ein paar Stunden nichts anderes zu tun (und tun zu können), als komfortabel in einem Sessel zu sitzen und Landschaft „to-sit“ zu genießen. Bei diesem Thema fällt mir auch ein, dass die To-Go Modewelle unserer Heimat in Japan nicht wirklich Fuß fasst. Wenn der Mund arbeitet, steht der Körper des Japaners. Es kann aber auch daran liegen, das es so gut wie keine öffentlichen Mülleimer gibt, und man die Becher für den restlichen Tag in der Hosentasche vor sich hinsuppen lassen müsste. Unser Rucksack zumindest hat inzwischen ein Muellfach, da wir besten Falls einmal am Tag einen Ort finden, wo wir die unzähligen Plastikverpackungen entsorgen können. Was uns aber aufgefallen ist, wenn die Menschen beim Gehen nicht Kaffee schlürfen oder sich etwas in den Mund stopfen, wirkt das viel gemütlicher. Und die Strassen sind sauber wie geleckt.

Statt Coffee to Go Sumo zum Anfassen.

Inklusive Umsteigen kommt man in etwa zwei Stunden von Tokio nach Nikko. Ich habe mich schon sehr auf diese Etappe gefreut, da Nikko  eine der schönsten Stationen auf meiner letzten Japanreise war. Es ist ein malerisches kleines Städtchen in den Bergen, und nach dem Vorabend im reizintensiven Tokio wirkt es hier erst einmal wie ausgestorben. Im Gegensatz zu meiner ersten Reise habe ich meine Ehefrau als Begleitung, weshalb die Option „Anreisen, Tourist Office, Auf Hotel hoffen“ nur eingeschränkt reizvoll war. Alleine kann ich auch bei Misserfolg mal in einem Waschsalon, einem Park oder einem Zug übernachten, aber so tolerant Imogen ist, möchte ich dennoch die frische Ehe  nicht gleich einem Stresstest unterziehen.


Das verschlafene Nikko am Abend.

Bei Nikko war das aber ganz einfach. Von meinem letzten Besuch kannte ich noch Kens „Nikko Park Lodge“, eine charmante Mischung aus Jugendherberge und  kleiner  Pension. Da wir bereits in Tokio gemerkt hatten, dass häufiger Ortswechsel nicht so viel Spass macht, haben wir drei Nächte gebucht. Leider war meine Erinnerung mit dem Namen der Unterkunft erschöpft, und so hatte ich mein erstes Wegfindungsabenteuer, da in Japan in der Tourist Information die Kenntnis von Fremdsprachen nicht als notwendige Fähigkeit für den Beruf betrachtet wird. So begann der Halb-Pantomimische Marathon mit japanischer Hilfsbereitschaft. Der alte Mann im Informationsbüro wusste, wo ich hin will, aber  er verstand partout nicht, dass ich einfach nur wollte, dass er mir mit dem Finger die ungefähre Lage auf einer Karte zeigt. Ich möchte lieber nicht wissen, was er dachte, was ich will, da er sehr verwirrt wirkte. Am Ende packte er seinen Krückstock und ging mit mir fast einen Kilometer, bis er mit dem Finger in Luftlinie auf mein Ziel zeigen konnte. Wirklich viel weiter war ich zwar nicht, aber er sah mich mit einem so hoffnungsvollen 80 Jahre alter Dackel Blick an, dass ich ihn mit einem mehrfachen „Wakarimashita“ (in etwa „ich hab’s verstanden“) ziehen ließ.

Damit der alte Mann sich nicht in seinen Kugelschreiber stürzt, schlich ich mich dann über die Seitenstrassen zurück und holte Imogen heimlich vom Office ab, da der alte Mann mit mir ohne sie gegangen war. Hätte er mich wieder gesehen, wäre das ganze von vorne losgegangen. Wir haben den Weg zur Parklodge dann auch fast ohne Zwischenfälle gefunden, der 3 km Umweg zum Sportfischerteich ist in meinen Augen vertretbarer Schwund. Angekommen ging es aber umgehend in das schlichte aber gemütliche Zimmer, wo meine Frau sofort das Bett in Beschlag nahm.

Das magische Geheimnis von Kens Parklodge: Elektrische Heizunterlagen im Bett. Für Frauen mit kalten Füssen ein Paradies, aus dem man sie nur noch mit der Bechstange bekommt

Als ich Imogen dann für das Abendessen aus ihrem Kuschelparadies der Wärme gelockt hatte, begegneten wir im gemütlichen Gemeinschaftsraum Rob, ein lustiger deutsch sprechender Amerikaner, der drei Mal im Jahr zu Besuch kommt, um Ken, den Herbergsvater, zu treffen. Zur Feier der frischvermählten  durfte Imogen sich auch gleich noch einmal von den japanischen Naschereien bedienen, die Rob besorgt hatte. Den  Abend  ließen Imogen und ich dann bei einem leckeren Essen in Nikko ausklingen.

Auf der Jagd nach der ersten durchgeschlafenen Nacht griff Imogen sogar zu einem Bier. Mmmmmmh Kirin, da war ich kurz verwirrt ob ich sie massieren oder essen soll.

 


Zum Thema Bier: Die kleine Brauerei in Nikko ist dem Erdbeben von Fukushima wirtschaftlich zum Opfer gefallen. Die Betroffenheit ist greifbar.

 

Heute morgen lockte uns dann strahlende Sonne aus dem geheizten Bett, und nach einem kleinen Frühstück ging es los. Leider kann selbst Ken kein ordentliches Frühstück anbieten, Japaner haben bei aller Liebe zum Grünen Tee überhaupt kein Verständnis für Kaffee. Bis heute war selbst der beste Kaffee hier ein abscheuliches Spülwasser, dass ich hierzuland nicht einmal meinem Feind servieren wurde. Auch beim Toast gab es nur halbherzige Marmelade dazu. Da dachte ich etwas wehmütig an Tokio, wo wir in Ueno leckeres Obst am Stiel zum Frühstück hatten.

Um einen Neustart meiner Geschmacksknospen nach diesem Trauma durchzuführen, spielte ich wieder einmal japanisches Getränkeautomaten-Roulette. Meine Wahl fiel auf eine Power Rangers Metallic Dose, deren Inhalt den Kaffee sofort vergessen gemacht hat. So ein grässliches Getränk habe ich in meinem Leben nicht gekostet, und ich habe beim Austrinken abwechselnd gelacht und geweint. Stellt euch vor, jemand nimmt den billigsten Automatenkaummi und löst diesen in  mit Süßstoff  angereichertem Wasser mit 92% Kohlensäure Gehalt auf. Jetzt potenziert diesen Geschmack ungefähr mit dem Faktor Hundert, dann habt ihr in etwa eine Vorstellung, wie das geschmeckt hat. Red Bull ist ein erlesener Rotwein dagegen.

Die Optik der Dose hätte Warnung genug sein sollen. 

 

Nach diesem Aufwecker ging es dann zum Toshugu Schrein, dem touristischen Juwel Nikkos. Hier konnte meine Frau einmal japanischen Tempel Deluxe genießen, während ich die Muße hatte, mir entspannt Details anzuschauen, japanische Touristen zu Unterhalten und meine zarte Haut von der Sonne anrösten zu lassen. Imogen erkannte an, dass ihre Haut etwas dunkler ist als meine, aber selbst ein Albino hat einen dunkleren Teint als Ich. Um das kulturelle Programm etwas aufzuheitern (auch wenn wir ein paar schöne Fotos für die gemacht haben, die noch nie etwas vom Toshugu Schrein gesehen haben), stellten wir zwei beliebte Motive nach:

Die berühmten drei Affen (Höre nicht Böses, Sage nichts Böses und Sieh nichts Böses)

Das schlafende Kätzchen (Neko)

 

Als wir gerade im schönsten Besichtigen waren, demonstrierte Nikko, dass es eben in den Bergen liegt: Innerhalb von 15 Minuten zogen schwere graue Regenwolken auf, welche sich in einem hochmotivierten Wolkenbruch entluden. Auch Imogen ist es aufgefallen, dass jeder Mensch in Japan seinen Beruf mit grosser Begeisterung ausübt. Ob das ein Raketenwissenschaftler oder der Getränke-Nachfüller ist, jeder Handgriff wird mit Worten erklärt und so hingebungsvoll durchgeführt, als ob es die letzte Handlung auf Gottes Erden und das unauslöschliche Vermächtnis wäre. Also ich persönlich hätte den Wolken auch ein halbherziges Tröpfeln erlaubt, ach was sage ich, gegönnt!


Noch war gut lachen vor dem Wolkenbruch 

Diese Achtsamkeit im Handeln legten die japanische Touristen auch im Umgang mit Kindern und Älteren an den Tag. Selbst der modischste junge Mann, der vor lauter Brust heraus Strecken kaum seine 1.62m fortbewegen kann, führt seine uralte Oma so liebevoll die Treppen hoch, dass ihn hierzulande jede Schwiegermutter sofort ins Poesiealbum kleben würde. Bei Kindern ist es ähnlich: Sonst sehr reservierte ehrenwerte Geschäftsmänner tragen stolz den Tragegurt und lassen ihren winzigen zuckersüßen Nachwuchs auf den Armani Anzug sabbern. Meine Frau hat mir mit einem kleinen Zaunpfahl gewinkt, wie unglaublich sympatisch eine solche Tragebereitschaft doch bei einem Mann wirkt. Mir hingegen fielen vor allem pragmatisch sinnvolle Dinge auf: So hatte hier jede Japanerin mit Kindern im Stillalter eine Art Schürze dabei, die mit einem Handgriff über die Brust geworfen werden konnte und so das Festmahl unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Ich habe das in dem Umfang zu Hause noch nicht erlebt, und votiere dafür, dass dieser Trend auch in Deutschland Alltag wird.



Gar nicht meine Gruppe,aber die hatten so hübsch posiert

 

Bevor wir zurück zum Hotel gingen, um die Füße für die Wanderung an den Wasserfällen Morgen auszuruhen, gönnten wir uns noch einen Rundgang in einem wunderschönen japanischen Garten. Ich kann mich daran nicht satt sehen, und wenn ich jemals das Geld haben sollte, werde ich mir einen Gärtner aus Japan einfliegen lassen. Am besten einen von diesen kleinen Greisen, die hier mit der Geduld eines Elefanten und der Energie eines Durazell-Hasen jede noch so kleinste Pflanze perfekt trimmen. Auch Imogen hat es sehr gut gefallen, und wir haben zusammen statt Tauben die Koi-Karpfen im Teich gefüttert. Damit noch etwas zu erzählen bleibt, wenn wir wieder zurück kommen, schließe ich für heute mit der besinnlichen Schönheit eines Japanischen Gartens.

 


Imogen beim Koi-Kucken. Was mir die Tiere viel sympatischer als Tauben macht ist, dass sie einem nicht auf den Kopf kacken nach dem Füttern.

 


Ein perfekter Ort zum Entspannen

Tokio Tag 4 – Last Orders

Das heutige Tagesziel hieß Odaiba. Wir haben es uns als Schmankerl für den letzten Tag in Tokio aufgehoben, da ich diesen Teil der Stadt noch nie gesehen habe. Odaiba liegt im südlichen Teil Tokios in der Hafengegend. Wenn ich den Reisefuehrer richtig verstanden habe, hat man früher hier den Müll ins Meer gekippt, und irgendwann beschlossen, die Deponie in ein Einkaufs- und Unterhaltungsviertel umzuwandeln.  Vorstellen kann ich mir das gut, auch wenn es bis auf direkt am Wasser überhaupt nicht nach Müll riecht. Bereits die Anfahrt nach Dabai  ist ein  Ereignis für sich, da man im Normalfall die sogenannte Regenbogenbrücke überquert. Wir haben uns für die Japanisch Futuristische Variante entschieden und die vollautomatisierte Yurikamone Linie gewählt.  Diese ferngesteuerte Züge zuckeln auf einer Hochtrasse durch die Häuserschluchten von Tokio. 


Da die Yurikamone Zuege ferngesteuert sind, kann man sich ganz vorne fast wie der Fahrer fühlen.

Während ich inzwischen langsam den Jetlag überwunden habe, kämpft Imogen noch sehr mit dem Schlaf oder genauer gesagt mit dem Mangel an selbigem. Da ist es wieder, das einzige Problem mit einer Rundreise zu den Flitterwochen: Will man etwas sehen, fehlen die Ruhephasen und Freiraeume, die man für eine völlig harmonische Zeit benötigt. Als Warnung und gleichzeitig Liebeserklärung an meine Frau: Wer es einfach und unkompliziert will, der fährt in den Flitterwochen an den Strand. Wenn man aber seinen Partner auch dann noch liebt, wenn er das fünfte Mal stehen bleibt und im Rucksack kramt (die Frau) oder  trotz nahendem Kollaps  unbedingt noch die gesamte Gundam Roboterausstellung sehen will (der Mann), dann bekommt man nach den großen Emotionen der Hochzeit noch viele unvergessliche gemeinsame Erinnerungen.  

Wie jeden Tag hatten wir ein schönes Kompromissprogramm ausgehandelt. Wir begannen mit einem romantischen Teil, der Standpromenade vor dem Deck SS (das war wirklich so beschriftet, ich frage mich ob da noch unverarbeitete Vergangenheit schlummert). Ohne den ständig tröpfelnden Regen und eine lautstark streitende chinesische Reisegruppe wäre es wohl auch noch einen Hauch romantischer ausgefallen.


Romantisch im Regen am Strand – da ist der Mann nicht nur Geliebter, sondern auch Schirmstaender beim Muschelsuchen


So ein schöner Rücken entzückt auch bei schlechtem Wetter

Da man zwar von feuchten Träumen spricht, aber durchgenässte Kleidung weniger Spass macht, drehten wir eine kleine Runde durch die Einkaufspromanden am Strand. Meine Frau zeigte ihre Liebe, indem sie an den vielen tollen Kleider Geschäften vorbeiging, wobei ich bei der Auswahl durchaus die eine oder andere Stunde Shopping verstanden und unterstützt hätte. Mit dem notwendigen zeitlichen Sicherheitsabstand ist Mann gerne großzügig. Wir machten sogar einen kurzen Abstecher in eine kleine, höllische laute und typisch japanische Spielhalle. Während ich den mir wohlbekannten Taiko Trommelautomaten behämmerte, sichtete meine Frau den aktuellen Hype für die Damenwelt: Extrem aufwändig gestaltete Fotokabinen. Anscheinend lassen die Japaner liebend gern ihr Geld dafür, sich bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit photoshoppen und wie eine wahre Schönheit „Super-Sparkly“ gezaubert zu werden.


Romtomtomtom – diese Trommeln machen einen Heidenspass, auch wenn die Musik und die begleitende Grafik typisch Japanisch schrill sind. Die Japanischen Jugendlichen spielen übrigens Stücke wie Maschinengewehrsalven


Auch für den Spieltrieb der Frauen ist gesorgt. Man sieht klar, Natürlichkeit steht hier im Vordergrund.

Als Imogen sich dem Tinitus nahe fühlte, nutzten wir eine kurze Pause im beharrlichen Tröpfeln es Regens draußen, um ein Foto mit der japanische Freiheitsstatue zu machen.  Den Japanern war das Eiffelturm Imitat wohl noch zu wenig, deswegen stellte man sich ein 5 Meter Exemplar der alten Dame vor ein Einkaufszentrum. 


Born in the US….Aeh?

Als wir dann beim nächsten Stop ankamen, war meine Frau am Ende ihrer Kräfte. Immer wieder legten wir einen kleinen Zwischenstopp ein, der von lebensnotwendigen Damen-Kruschel Aktivitäten begleitet wurde. Uns ist das erst am Abend klar geworden, aber anscheinend haben Frauen das tiefe Bedürfnis, einen mehr oder minder großen Behälter mit sich zu führen, in dem sich alle Ausrüstung befindet, um nicht nur die postnukleare Wüste von Japan, sondern auch eine mögliche Alieninvasion bequem zu überdauern. Die einfache Existenz dieses Survival Kits erfüllt das Frauenherz aber noch nicht mit Glück, sondern dafür muss der Inhalt gesichtet, angefasst, ausgeräumt, eingeräumt, sprich – präsent gemacht werden. Also zumindest ist das mein Verständnis, Imogen wuerde das wohl wieder anders beschreiben.


In welcher Hosentasche war gleich noch einmal der Flammenwerfer?

Imogen entließ mich mit einem ähnlich liebevollen Kuss wie dem, den wir vor dem „The Kiss“ fotografiert hatten, und sank erschöpft in der Futterhalle des Einkaufszentrums nieder, während ich neugierig die oberen Stockwerke erkundete. Der Ort für diese Pause hätte nicht besser sein können, denn im 5ten Stockwerk war das „Tokio Gundam Battlefront Center“ einquartiert. 

Hierzu muss ich ein bisschen was erklären: Gundam ist die Japanische Antwort auf Transformers und eine immens beliebte und erfolgreiche Manga Serie. Im Gegensatz zu den amerikanische Genossen sind die Kampfmaschinen selbst keine Lebewesen, sondern vielmehr eine Art wandlungsfähiger Superpanzer der Earth Defense Force, in dem ein Pilot sitzt. Leider hatte ich keine Zeit, mich drei Stunden anzustellen, um mich in den hydraulisch gelagerten Kampfsimulator zu schwingen, aber immerhin konnte man gratis die gefühlt 1000enden Modelle der Gundam Roboter in einer Ausstellung anschauen. Vor dem Einkaufszentrum stand eine sehr eindrucksvolle 1:1 Replika aus Stahl, die ich ausgiebig fotografiert habe. Wenn ihr Zeit habt, schaut euch die einmal in der Gallerie an, es war jede einzelne Wartungsklappe beschriftet.


 Hier wurden alle Männer zu Kindern. 15 Meter Stahl, schweig still mein pochend Herz


Im „Café Gundam“ haette ich mir dann fast den passenden Merchandising Regenschirm gekauft. Einfach, weil „Lightsabel“ so lustig zu lesen war. 

Bevor wir für den letzten Abend nach Shibuya fuhren, schleppte ich Imogen noch in die japanische BMW Welt, das Toyota Meg@Web. Hier stellt der unmögliche Autohersteller seine neuesten Modelle vor. Sehr angenehm war, das man sich in jedes Auto setzen konnte, das dort stand, ohne dass man Personal im Genick hatte. Theoretisch gab es auch jede Menge Rahmenprogramm, unter anderem kostenlose Probefahrten mit allen Modellen auf dem Gelände (mit Voranmeldung), Rennsimulatoren, eine kleine Go Kart Strecke, und und und. Besonders angetan hatte es mir die Zukunftsstudie eines 1-Mann. Elektroflitzers, der wie ein Turbo-Steh Rollstuhl aussah. Ich war so sehr von dieser technischen Spielerei begeistert, dass die zuständige Dame  auch ein Auge beim Gewichtslimit für die Probefahrt zugedrückt hätte. Leider habe ich das Limit um mehr als eine Augenbreite überschritten, aber ich habe mich sehr gefreut, dass in Japan ein Otaku (zu neudeutsch sowas wie ein Nerd) herzlich Willkommen ist. Da weiß man Technikbegeisterung einfach noch zu schätzen! 



Leider nicht meine Gewichtsklasse: Der Toyota iReal

Am Abend hatten wir dann das erste Mal ein wenig Probleme. Ich wollte für das letzte Essen in Tokio etwas ganz besonderes, und überredete meine Frau, mit mir in ein Yakiniku Restaurant zu gehen. Yakiniku ist eine besondere Zubereitung, wo die Gäste das Fleisch roh bekommen und am Tisch über offener Flamme grillen. Ich war von Anfang an ein wenig im Stress, da ich nicht nur Deutsch-Japanisch übersetzen musste, sondern noch simultan Mann-Frau für Imogen. Nach einigem Hin und Her mit viel Gezeige hatte sich herausgestellt, dass der Grill erst ab 2 Personen angeworfen wird. Da ich schon von den Grilldüften ganz benebelt war, winkte ich großzügig nach dem Motto „einfach her mit dem Fleisch“, was wiederum bei der besseren Hälfte nicht ganz so gut ankam, da sie eigentlich kein Fleisch isst. Also bestellten wir noch ein schickes Reisgericht dazu, und weil eh schon alles wurscht war, eine halbe Bier für gut 10 Euro. Die Stimmung beim Essen war dann ein wenig gedrückt, aber wenn ein Mann im Fleischwahn ist… Die drei Japaner am Nachbartisch haben dann eine Fuhre nach der anderen angeliefert bekommen, während mein Teller schnell weggegrillt war und ich sehnsüchtig nach drüben blickte. Pünktlich zum Ende unserer zugewiesenen Essenszeit (man kann so viel essen wie man will, hat aber nur begrenzte Zeit) fand ich dann heraus, dass man neue Fuhren über das rein textgesteuerte Menü am Tischrand bestellen musste. Es war dann gut, dass wir gehen mussten, ich haette sonst im Futterrausch den Nachbartisch überfallen, und sie haetten mich mit halbrohen Fleischbrocken im Mundwinkel abgeführt (siehe -> Flitterwochen, Knast, No-Go). Im Nachhinein haette ich die ganz Situation mit mehr Großmut tragen können, aber werft einem Haifisch ein blutendes Rind in den Ozean und sagt ihm dann, er darf nur einen Bissen, weil Frau Haifisch nicht mitreißen kann. Ja der Haifisch grinst auch da, aber nicht weil er so gute Laune hat.



5 Makis, eine Teller hauchdünne Fleischsstuecke, 2 Getränke, 70 Euro. Ich glaube so ein Abend ist bei jedem Urlaub einmal dabei.

Zum Abschluss des Tages schlenderten wir ein letztes Mal durch die Lichterkanonen Shibuyas. Die Menschen waren alle fröhlich und man merkte sehr, dass die Japaner es schätzen, am Wochenende „betrunken“ zu sein, und sich somit einmal etwas gehen zu lassen. Wir haben neugierhalber auch den Love Hotel Hill gesichtet. Die Zimmer sahen auf den Bildern spektakulär aus, aber nach dem Erlebnis vom Abendessen war mein Selbstvertrauen in sprachliche Dingen ein wenig angeschlagen, und ich hatte Angst, am Ende ein Zimmer mit Elektroschocks im Bettgestell zu bekommen. Also blieb es bei einem romantischen Spaziergang. In der Ubahn hat sich dann noch eine junge Japanerin in der Tür eingeklemmt. Wie bei afrikanischen Affenfallen hing die Pfote fest, weil sie nicht bereit war, ihr Handy loszulassen. Die Japaner lösten die Situation durch beherztes Zur-Seite schauen, deswegen habe ich meine haarigen Gaijin Pranken in den Türspalt gequetscht und die Ubahn nochmal aufgehebelt. Zur Show mit einem schönen Grunzen. Die gerettete Dame stürmte dann mit hochrotem Kopf in den nächsten Wagen, ich glaube es wäre ihr weniger peinlich gewesen, durch den Ubahn Tunnel geschleift zu werden, als dass ich regelwidrig die Türe aufstemme.


Achtet auf die Plakate im Hintergrund. Vielleicht war ich Zeuge eines versuchten Selbstmordes, da keine J. Bieber Karten mehr verfügbar waren.

Leutseeliger war ein Trio, das wohl international ist. Junger Mann, etwas schlaksig, der Blick leicht glasig. Eine etwas pummelige Frau, die an den Mann gelehnt und so betankt ist, dass sie auf nichts mehr reagiert. (alle Restwahrnehmung konzentriert sich auf ihren Fang an den sie sich kuschelt). Und Last but Not least die beste Freundin/Schwester, die weder Mann noch Alkoholpegel hat, und die beiden volltrunkenen Freunde heil nach Hause bringen darf. Mit diesem niedliche Trio schlossen wir unseren letzten Abend in Tokio ab, mit der netten Erkenntnis, dass bei aller Entfernung und aller Fremde doch auch immer etwas vertrautes ist.

Tokio Tag 3 – Yumae Ippai

Aufwachen. Strahlende Sonne. Herrliches Wetter, auch wenn das helle Licht den verquollenen Augen wie kleine Dolche zusetzt. Die erfolglose Jetlag Bewältigung in Kombination mit dem London-Syndrom hat bei meiner Frau und mir bereits die ersten Spuren hinterlassen. Bereits in der Ubahn auf dem Weg zum neuen Hotel haben wir umfangreich vom Tokyo Metro Sekundenschlaf gebrauch gemacht.


Ich ruhe nur kurz meine Augen aus, ganz kurz



Der Kampf wird noch ausgefochten



Ca. 15 Sekunden später 

In hartem Teamwork schafften wir es dann doch zum neuen Hotel, pünktlich 3 Stunden vor dem möglichen CheckIn. wir konnten zumindest den großen Koffer in der Lobby parken, und konnten dann doch nicht anders, als die Zeit bis dahin sinnvoll zu nutzen. Mit an Bord war das übliche Morgenpaket: Der Trott in den 7Eleven, und dann wie bei einer Hochzeit: Etwas altes (der Reisklumpen mit bisschen Fisch), etwas neues (eine pappsüße chemische Abscheulichkeit, in der ewigen Jagd nach einem erfrischenden Erfrischungsgetränk) und etwas blaues (eine Flasche Hokkaido Mineralwasser).

An sich wollten wir die Zeit über im Park rasten, aber am Ende waren wir dann doch wieder fleissig unterwegs. Tempelbesichtigung, Leute gaffen, durch den Park laufen, noch mehr Leute gaffen, kurz überlegen, die unpassende Starbucks Filiale vor dem Nationalmuseum zu sprengen, die Sichtung einer Bonsai Ausstellung inklusive kompletter Ablichtung – alles in allem ein ganz entspannter früher Nachmittag im Hause Wiedenmann. Apropos Familie, ich hoffe mein lieber Bruder liest das hier, denn er ist ein großer Bonsai Fan und ich habe die arme Imogen gezwungen, jeden einzelnen Baum zu knipsen.



An vielen Schreinen gibt es die Statue einer Kuh, der man bei Kinderwunsch eine Schürze umhängt. Da ich nie ein Schürzenjäger war und wir so keine Schürzen dabei hatten, versucht meine Frau, das Wohlwollen der Zauberkuh mit einer herzlichen Kobe-Massage zu erkaufen.



Ein letzter Moment der Gnade vor dem Bonsai Marathon



Mein lieber Bruder, wir haben sooooo viele Bonsais für dich fotografiert!

Zusammen mit der Sonne und dem Schlafentzug wurde ich immer alberner. Imogen konnte mich noch davor abhalten, mit meiner Kamera vor die Japaner zu springen, wild mit den Augen zu rollen und zu Brüllen: „wir sind finstere Ausländische Teufel (Oni) und stehlen euch jetzt eure Seelen Waaahahahahaha!“. Sie hat mich an die Sache mit Flitterwochen, der Romantik und kein Gefängnis erinnert. Nicht, dass ich jetzt ein Chaot, Störenfried oder ähnliches wäre. Im Gegenteil, ich fühle mich in meinem Humor manchmal einfach missverstanden. Oder es war etwas in dem riesigen Wassereis, das ich geschlürft habe. Einmal wäre ich beinahe aus der fürsorglichen Obhut meiner Frau entkommen, als ich mich wie ein Chamäleon meiner Umgebung angepasst habe. Dies erfordert ein tiefes Verständnis menschlicher Wahrnehmung bzw. die passende Größe und Mimik.



Ich verstehe nicht, wie diese raffinierte Tarnung auffliegen konnte.

Als der Sirup Rausch überstanden war, merkte ich wieder die Müdigkeit. Neidisch beobachteten Imogen und ich die glücklich schlummernden Japaner. Der Sirenengesang eines Bettes war unerträglich stark. Man stelle sich das in etwa so vor: Der Körper hat das erfrischte Empfinden einer 10 Stunden Massage mit einem Brecheisen. Alles tut auf eine nörgelnde Art weh, und der Geist ist wie ein immer dunkler werdendes Lagerfeuer, das in einem Meer aus Zuckerwatte einsam flackert. Der Wille erinnert hartnäckig und pflichtbewusst daran, dass ein erneutes Nickerchen wieder eine Niederlage in Krieg gegen n Jetlag ist, aber die Zuckerwattte… Die ist so wunderbar weich, und samtig, und die Knie meckern so und… loslassen, einfach loslassen… „GANBATTE SCHATZ!!!!! HALTE DURCH! NICHT WEGNICKEN, WIR GEHEN WEITER!!!“

Eine Ehe verbindet zwei Menschen, und gemeinsam bildet man eine starke Einheit, die selbst in solchen Situationen Kraft gibt, dem inneren Sirenenschweinehund zu widerstehen. Auch wenn man im direkten Moment der Unterstützung nicht immer von unendlicher Dankbarkeit und Liebe erfüllt ist. Das bekommt der Partner dann in Form einer Fussmassage.


Bei dem Anblick möchte man auch sofort so selig schlafen


„Wenn Du denkst, es geht Dir jetzt schlecht, stell Dir einfach vor, was noch schlimmer wäre.“ Solch einfühlsame Unterstützung gibt dem Partner Kraft zum Weitermachen.

Wir haben es übrigens bis in den Abend hinein geschafft, ohne ein Nickerchen durch den Tag zu kommen. Wir haben noch Ueno und Asakusa am Abend heimgesucht, und die fantastische Atmosphäre von Tokyo aufgesaugt. Man fühlt sich wirklich zu keiner Sekunde unsicher, und die Freundlichkeit der Japaner hilft sehr dabei, einmal die schlechte Laune wegen der Erschöpfung zu vergessen. Wir haben so vieles gesehen, dass ich noch unzählige Seiten schreiben koennte, aber dann bleibt bei der ganzen Berichterstattung keine Zeit mehr, Neues zu erleben, und Zeit für den Partner ist auch wichtig. Nur zwei Kleinigkeiten wollte ich noch erwähnen:
Zum einen wurden wir für unsere Ausdauer am Abend belohnt, weil wir rein zufällig in ein Ritual von Zen Bogenmeistern gestolpert sind. Von lauten Taiko-Trommeln angelockt konnten wir die Bogenschützen beobachten, wie sie auf ihre Zielscheiben geschossen haben. Vom Zug bis zum Abschuss haben diese Männer eine so tiefe Ruhe ausgestrahlt, dass es auch für mich wie eine kühlende Hand war. Zum anderen konnte ich mit meiner Frau einen romantischen Spaziergang durch den Ueno Park nach Hause machen. Bei Tag wirken die drei kleinen Seen nicht so toll, aber bei einer lauen Sommernacht, wenn sich das Licht auf dem Wasser spiegelt, ist es ein sehr schöner Weg. Der Meinung waren übrigens nicht nur wir, sondern viele zusammengekuschelte Pärchen, die für einen verliebten Menschen ein Spalier der Zärtlichkeit gebildet haben. Für masochistische Menschen, die Einsam sind, kann man diesen Weg deshalb – wenn auch aus völlig anderen Gründen – sehr empfehlen.
Morgen dämmert unser letzter Tag in Tokio, und dieses Mal werden wir es garantiert ganz gemütlich angehen lassen. Als Einstimmung und Vorsatz deswegen unser schon fast spionagetauglicher Schuss von den Zen Bogenschützen:


Einatmen. Ziehen. Loslassen. Ausatmen.

Schlaflos in Tokio – Tag 2

Jetlag ist eine grausame Geliebte. Während ich bei meiner letzten Japanreise nach einen über 48 Stunden Marathon einfach ordentlich ausschlief und danach fit wie ein Turnschuh war, zieht sich dieses Mal das Akklimatisieren hin. Auch die Tatsache, dass wir Morgen Hotel wechseln und deswegen schon wieder früh raus müssen, macht das nicht einfacher. Oder die Tatsache, dass die ebensowenig angekommenen britischen Herren vom Nebenzimmer sich gerade um kurz nach Mitternacht in gefühlter Düsenjäger Lautstärke unterhalten. 

Eigentlich hatte ich angesichts von Fukushima leere Strassen und noch leerere Hotels erwartet, wo halb verhungertes Servicepersonal die Töchter und Söhne obendrauf gibt, wenn man nur dort nächtigt, aber offensichtlich ist Platz auch im postapokalyptischen Japan ein rentables Geschäft. Am Empfang schmunzelte der Consierge bei der Frage, ob man das Zinmer auch verlängern konnte, und bot dann ein halb so großes Zimmer für gut 340 Euro die Nacht an. Da haben wir dann doch lieber den Aufwand eines Umcheckens in Kauf genommen und werden morgen noch einmal umziehen. 
Überhaupt erkenne ich Japan preislich kaum wieder. Das letzte Mal war sowohl der Yen wesentlich gnädiger gestimmt, aber auch die allgemeine Preislage vor Ort noch machbar. Heute war ich heilfroh, ein kleines Hotel in Tokio auf Jugendherbergsniveau für 85 Euro das Doppelzimmer bekommen zu haben. Und wer denkt, dass Tokyo schlimm ist: Auch im verschlafenden Nikko kann man heute in einer Herberge schon gut 400 Euro die Nacht lassen. Gott sei Dank ist mir Ken und die Parklodge eingefallen, wo wir für Samstag auch ein kleines Zimmer bekommen haben. Aber genug der Unterkünfte. Ich muss übrigens meinem Bruder widersprechen, der meinte, dass in Tokyo alle Leuchtreklamen aus sind, da der Strom wegen mangelndem Atomstrom knapp ist. Es folgt Beweisfoto A, gemacht heute, 21:35 im Tokio Tower (der japanischen Antwort auf den Eiffelturm).: 

Also entweder haben die Japaner einen Weg gefunden, Fallout für Leuchtreklame zu verwenden, oder man kommt doch ohne Atomstrom aus, um die notwendige Epilepsiestufe in der Strassenbeleuchtung zu erreichen.

Aus dem Fischmarkt wurde heute leider nichts, da wir hoffnungslos verschlafen haben. Erst gegen Mittags nach ausführlicher Plünderung des Kaffees in der Hotel Lobby sind wir wie zwei verliebte Zombies Richtung Yoyogi Park getrappst, um meiner Frau den ersten Fix fernöstlicher Ästhetik und Spiritualität zu geben. Das klingt jetzt zynischer als es gemeint ist, aber der Tag war lang, die Engländer lärmen immer noch (reicht denen nicht, dass sie unser Championsleague finale versaut haben?), und ein müder Stefan ist, wie die Briten es sagen wurden, „a nasty bitch“. Immi hat sich eine Votivtafel besorgt, und etwas bestimmt so liebenswertes und sonniges darauf geschrieben, wie ich es nach einer schlaflosen Nacht bestimmt nicht hinbekommen hätte.


Botschaft geheim aber garantiert lieb. Dafür hat man eine Frau, ginge es nach den Tafeln der Männer, wäre der FCB jetzt mit Pott und dafür ein paar Landstriche entvölkert.

Aber jetzt will ich doch eher mal die positiven Dinge sehen. Das Wetter hat sich brav gebessert, auch heute beim zu Bett gehen haben weder ich noch meine Frau Grün geleuchtet, und Imogen hat erfolgreichen einen klassischen Stefan-Sightseeing Tag überstanden. Im entspannten Stechschritt wurde der gesamte Meji Schrein und Yoyogi Park durchmessen, gefolgt von einer großzügigen Erholungspause von 15 Minuten auf einer Parkbank. Bei dem schönen Wetter haben sogar die Japaner wieder so viel Hoffnung getankt, um nebeneinander im Grass zu sitzen, oder in Extremfällen sogar Händchen zu halten. Ganbatte liebe kleine Freunde, nichts ist schöner als ein neues Leben in radioaktiver Wüste, und zwei schreiende Münder sind viel schneller still, wenn sie nur zu einem Magen gehören.


Aufkeimende Hoffnung im Land der Vulkane. Hier hat die Liebe eine strahlende Zukunft

Nein aber jetzt mal im ernst: ich finde Japan und Tokyo bisher wie beim ersten Mal wunderschön, und fühle mich schon wieder fast heimisch. Allein der Enthusiasmus, mit dem die Jugendlichen im Park die Tanzkoreographien ihrer Lieblingsbands einstudiert haben, war ansteckend. Wenn ich nicht als unheimlicher Gaijin sofort in den Knast kommen würde, haette ich versucht, da mit zu üben, das sah schon sehr professionell aus.


So schoen grün ist es in Japan. Die Tänzer müsst ihr euch vorstellen, die wollte ich nicht so aufdringlich ablichten. Ein Königreich für ein Teleobjektiv!

Aber ich denke, dass Gefängnis am dritte Tag der Flitterwochen eine frische Ehe doch eher etwas über Gebühr belasten wuerde. Zu diesen Bands selbst kann man leider bis auf die Koreographien nix Gutes sagen, musikalisch ist es grenzwertiger JapanPop und je nach Geschlecht hat man entweder abgehungerte Pseudo-Namba Hengste (was Namba ist, konntet ihr bei meiner ersten Reise lernen) oder eine kichernde Gruppe von Mädchen in Bikinis, deren Alter hierzulande das LKA Sturm laufen lassen wuerde. Aber lasst die Knüppel im Schrank liegen, denn die Japanerin von Chick ist 40 Jahre alt und sieht aus wie eine 15-Jährige, die sich auf 20 hochgeschminkt hat.

Nach einem schönen gemeinsamen Selbstportrait auf der Parkbank ging es weiter nach Shibuya, wo ich mich gleich wieder im schönsten „Lost in translation“ Gefühl wiederfand. Es ist sehr spannend, wieder an die Orte zurück zu kehren, die so viele Eindrücke geliefert haben, und das vor allem zusammen mit jemandem, durch dessen Augen man alles noch einmal neu entdeckt. So hat Imogen ein hervorragendes Auge für Mode, und fühlt sich neben den todschicken Tokyo Frauen in ihrer Touristenkluft etwas unfein. Da fehlen ihr aber die liebenden Augen eines Ehemannes, denn Kleider machen Leute, aber keine Frauen. Und bei denen gibt es primäre Erkennungsmerkmale, die meine Frau in mir erfreuender Weise erfüllt und todschicke aber zaundürre  Japanerinnen eben nicht. Von den vielen anderen Gründen, warum ich meine Frau auch über die Eheschließung hinaus liebe, einmal ganz zu schweigen. Aber das ist kein Japan – Spezifisches Thema und wird somit ausgelassen. Aber es ist auf jeden Fall für Imogen und mich ein tolles Erlebnis, eine so große Reise gemeinsam zu machen


Sind schließlich zusammen in Flitterwochen also 1 2 – aaaaaaah

Irgendwann war dann selbst die nahezu unerschütterliche Unternehmungsfreude meiner Frau schwer durch Hunger geschwächt. Das mag jetzt unpassend klingen, aber als wir im Park beim Hundespielplatz standen, wo die Vierbeiner wie verrückt getollt haben, musste ich Imogen mit einem verliebten Schmunzeln anschauen. Denn sie hatte den gleichen überschäumend begeisterten Blick wie die besten Freunde des Menschen dort. Und auch so ein Reisetag hat da durchaus seine Analogien: Die Unruhe und das an-der-Türe scharren vor dem Aufbrechen, das fröhliche Umherlaufen, dann der Einbruch wenn der Hunger kommt und dieser dankbare Blick, wenn dann der Napf auf dem Tisch steht.


Ente gut, alles gut. Auch wenn’s Rind und keine Ente war.

Anschließend ging es noch zum Tokyo Tower, wo wir versucht haben, Tokyo bei Nacht zu fotografieren. Im Nachinein muss ich zugeben, dass ich die romantische Stimmung doch lieber mehr mit meiner Frau als mit Blende und Belichtungszeit geteilt hätte, aber wenn mich da erst einmal der Ehrgeiz packt… So richtig bewusst wurde es mir leider erst, als wir aufgefordert wurden, doch bitte mit dem letzten Fahrstuhl nach unten zu fahren, und der Angestellte zwei bezaubernd schüchterne japanische Paare aus den Ecken gekratzt hat. Wie dem auch sei, dafür gibts noch ein paar Versuche in Tokio-Nachtfotos. Im Übrigen habe ich eine hoffentlich jetzt für alle sichtbare Gallerie gebastelt, der Link ist rechts oben der erste bei „Blogroll“. Die Gallerie enthält eine bereits leicht vorsortierte Auswahl und sozusagen Bonusmaterial. Heute zum Beispiel unter anderem ein kurzes Video, wo Imogen versucht, es den Japanern beim Suppe schlürfen gleich zu tun. Jetzt aber werde ich erst einmal versuchen zu schlafen, und Morgen das Programm etwas entzerren. Schließlich sollen es ja Flitterwochen und keine Folterwochen werden.