Tag 7 Nikko: Mensch gegen Natur

Heute stand nach den Tempelanlagen etwas Natur auf dem Programm. Nikko liegt wunderschön in den Bergen, und bei meinem letzten Versuch hatte ich mich von den heissen Quellen in Yumoto  zum Drachenfall vorgearbeitet, bevor ich aus Erschöpfung aufgegeben hatte. Diese Schmach sollte heute getilgt werden, weshalb ich meine Frau zu der für uns unchristlichen Zeit um 0800 Uhr morgens wachrüttelte.  Der härteste Kampf war Liebe gegen Heizdecke, aber mit der schönen Hochzeit im Rücken konnte ich die Heizdecke gerade so ausstechen.

Auf dem Weg zum Bus hin zog ich in meinem Automatenroulette einen pappsuessen Kaffee Latte (was hier als „authentic mild flavor“ beworben wird). Irgendwie scheint hier jedes Getränk abseits von Wasser, Bier und Tee auf die schnelle Ermordung von Diabetikern ausgerichtet zu sein. Imogen ist da etwas klüger und geht auf meine Experimente gar nicht ein. Aber ich bin mir sicher: Eines Tages werde ich das geheime Supergetränk  finden, dass mir übermenschliche Kräfte verleiht, und in einem geheimen System a la „Der Da Vinci Code“vor unwürdigen Gaijin versteckt wird. Ich werde mich auf jeden Fall vor buddhistischen Albinomönchen hüten und meine Frau mit ein bisschen gezieltem Schlaf- und vor allem Frühstücksentzug in Kampflaune halten. So lange Imogen noch nichts im Bauch hat, würde ich ihr nicht einmal mit einer Armee Eliteninjas gegenübertreten.

Meine Frau beim Schockfrühstueck nach der grausamen Trennung von ihrer Heizdecke

Von meiner geheimen „Weltherrschaft durch japanische Superformel“ Agenda abgesehen stand einem perfekten Tag nur noch die Bezwingung unserer Wanderstrecke an. Ich erkenne an, dass Flitterwochen romantisch und geruhsam sein sollen, aber als Mann wird man eben vom Wunsch nach Eroberung und Erfolg getrieben. Imogen bevorzugt das Motto „Der Weg ist das Ziel“, und möchte den Moment geniessen. Nur, wenn wir schon bei Zen sind, gibt es ohne Ziel überhaupt einen Weg? Wenn es nicht ausgerechnet darum ginge, einen Schandfleck aus meiner Vergangenheit zu tilgen, wuerde ich meiner Frau wohl bedingungslos zustimmen, aber ich kann nicht im Land der Ehre sein und dann vor ein bisschen Wasser kneifen! Die Wettervorhersage für den Tag war schlecht bis schrecklich, aber wir fuhren optimistisch mit dem Bus in Richtung der ca. 60 Minuten entfernten Yumoto Quellen los. Während der Fahrt begann es aus vollen Eimern zu schütten, und die sonst eindrucksvolle Fahrt die Serpentinen hinauf wurde eine Blindfahrt in Nebelsuppe. Fette Tropfen klatschten gegen die Scheiben des behaglichen Busses, und lösten eine spontane Diskussion über Sinn und Unsinn einer Regenwanderung aus. An diesem Punkt waren wir nahe dran, die auf halber Strecke gelegenen heißen Chuzenji Quellen anzusteuern, aber eine kluge Ehefrau merkt, wann der Mann in seiner Kompromissfähigkeit eingeschränkt ist. Da Imogen nicht nur klug, sondern auch tapfer ist, bestand sie nicht auf dem ihr zustehenden letzten Wort, sondern stimmte einem Kompromiss zu: Start bei den Drachenfällen und dann bis zum bekanntesten Wasserfall, dem Kegon Fall, laufen. Diese schlappen 10 Kilometer sollten doch machbar sein.

Warum Hunde und Katzen essen, wenn man sie regnen lassen kann? Imogen wartet hier im Unterstand während ich zumindest ein Pflichtfoto vom ersten Wasserfall schießen will

Für dieses Foto hielt ich mit meinem Hals den Regenschirm, mit zwei Fingern der linken eine schützende Plastiktüte und den Fotoapparat, mit der rechten bediente ich den Auslöser. Das spektakuläre ist also nicht das Bild sondern der Entstehungsprozess.

Als wir den Bus verliessen, beschloss das Wetter, die Samthandschuhe auszuziehen und die Schlagringe mit extra Dornen auszupacken. Es schüttete und prasselte und goss ohne Gnade. Blitze zischten, lauter Donner krachte, hier hatte sich das who is who des Sauwetters eingefunden, um uns einmal zu zeigen was Naturgewalten so draufhaben. Mein höchster Respekt und Dank gilt meiner Ehefrau, die ohne meckern und murren hinter mir durch den Regen stapfte. Nur vor den Blitzen hatte sie ein wenig Respekt, aber wieso sollte einen auf einem Berg ein Blitz treffen? Ich beruhigte sie damit, dass neben der Strasse Strommasten waren, die für einen Blitz viel leckerer sind als eine kleine Frau im isolierenden Plastik Cape. Eigentlich war ich mir gar nicht so sicher, aber ich hielt meinen Regenschirm extra hoch, dass es zumindest mich erwischt. Ich wollte sie nur beruhigen, damit sie nicht umdreht. Damit ist auch die Frage beantwortet, was ein Menschenleben wert ist: 27 Euro Busfahrt (einfach!), die man nicht umsonst ausgegeben haben will.

In Sachen Ausrüstung trug Imogens Philosophie einen unumstrittenen Sieg davon. Welcher Mensch zieht sich schon für eine Wanderung ein T-Shirt, einen Pullover, ein Jäckchen, einen Mantel und ein Plastik Cape an? Ich als echter Mann trug ein T-Shirt mit einer leichten Sommerjacke und als Regenschutz meinen treuen und platzsparenden Knirps. Im Ernstfall zeigte sich dann aber, dass auch ein echter Mann bei 8 Grad zum Frieren beginnt, und dieses elendige Mistteil von Klappschirm ließ nach 5 Minuten Wolkenbruch das Wasser nahezu ungehindert durch, nicht, dass die 45 cm Durchmesser mich auch nur ansatzweise abgedeckt haetten. Dass man sich sein Elend nicht anmerken lassen darf (Stichwort: Seine eigene große Klappe fressen), machte meine Situation auch nicht einfacher. Zur Veranschaulichung:

               
Mann gegen Natur. Natur gewinnt.

Was die Frau davon sieht

Nach der ersten halben Stunde erlebte ich eine wundersame Wandlung meiner Laune. Wo ich sonst bei bestem Wetter mitunter schon einmal ungeduldig mit meiner Frau bin, schweißte uns der abscheuliche Regen zusammen. Während ich jeden einzelnen Regentropfen zu hasste, der mich hämisch nasstropfte, wurde mir klar, wie belanglos das genervt sein ist, wenn die Frau verträumt stehen bleibt, um einen Anblick zu genießen. Einmal davon abgesehen, dass die Motivation, im strömenden Regen innezuhalten selbst bei Imogen eingeschränkt war.  Schritt für Schritt trotzte  Familie Wiedenmann gemeinsam den Elementen.

Der Großteil des Weges führte durch das Naturschutzgebiet am See, ein beliebtes Ziel für Hobbyangler. Die standen in bestimmt genormten Abständen im See herum und genossen die Ruhe und Stille bis wir vorbeikamen. Um das Klappern meiner Zähne  überspielen, war ich sogar für meine Verhältnisse sehr gesprächig, während Imogen sich in ihre Schutzkleidung verkroch und sich an einen glücklicheren Platz voller Sonne träumte.  So bewahrte sie sich ihre Energie fuer  die gute Beobachtung auf, dass vielleicht nicht die Angler so unfähig waren, sondern am liebsten mit ihren Gummistiefeln nach uns geworfen hätten,  da meine „Singing in the Rain“ Version  nur eingeschränkt Ködertauglich ist.

Ein einsamer Fischer in einer nebligen Landschaft. Ich lieferte das Nebelhorn.

Nach gut einer Stunde stellten wir uns bei einem Angler Museum unter, damit ich dort mein Mittagsessen verputzen konnte. In jedem Supermarkt gibt es für ca. 5 Euro ein tolles abwechslungsreiches Mahl, das man auch kalt genießen kann. Schlägt meiner Meinung nach deutsches Mikrowellenfutter um Längen. Ein vorbeiziehender Parkwächter musste herzhaft lachen, als er Imogen frierend neben mir stehen gesehen hat, während ich im T-Shirt mein Essen hineinstopfte.

Eiskalt wars mir, aber geschmeckt hat es.

Nach dem Essen klärte doch tatsächlich der Himmel auf. Da die anderen Touristen weder meinen Ehrgeiz noch so tapfere Frauen hatten, sassen sie wohl aufeinander gestapelt in den heißen Quellen, während wir bei herrlichem Sonnenschein den gesamten See für uns hatten.

Tapfer trapste meine Frau in ihrer vollen Ausrüstung durch die Natur

Die Tapferkeit wurde belohnt, die Sonne kann um so wonniger genossen werden.

Vom Glorienschein der Sonne umrankt erreichten wir unser Ziel, den Kegon Wasserfall. Direkt nach der Ankunft schoss ich zwei schnelle Fotos, um einen mentalen Haken auf der To-Do Liste des Tages machen zu können. Und dann konnte ich es so richtig geniessen, mit meiner Liebsten an einem romantischen Wasserfall zu sein. Da habe ich noch eine schöne Analogie: Wir hatten den ganzen Tag verzweifelt nach einem Mülleimer gesucht. Selbst der Picknick Platz hatte zwar Toiletten und jeden erdenklichen Luxus, aber nicht einen einzigen Behälter zur Entsorgung von Plastiktüten. Wenn ihr denkt, das wäre doch nicht so schlimm, vergesst nicht, dass fast alles hier mit Fisch ist, und wenn man ca. 4 Beutel mit Fischresten im Rucksack hat, das Ganze mit einem Plastik Umhang absiegelt und anschliessend 3 Stunden in der Sonne reifen lässt…  Imogen auf jeden Fall begann irgendwann wie ein Verdurstender in der Wüste in jedem auch nur ansatzweise zylindrischen Gegenstand einen Mülleimer zu sehen. Liebevoll hielt ich sie zurück, damit sie nicht mit irrem Gelächter die Beutel in Eismaschinen stopft oder in Kinderwagen wirft.


Auch die freundlichsten Häuser hatten keine Mülleimer.

Im wechselseitigen Gluecksrausch (Foto gemacht, Müll entsorgt) beschlossen wir, uns noch den Aufzug zu gönnen, den man benötigt um den Wasserfall ordentlich sehen zu können. Auch in Japan werden Touristen wie Heilige Kühe behandelt: Viel Respekt und Freundlichkeit, aber man muss auch kräftig Melken. Die vielgepriesene Aussichtsplattform lag so tief, dass die Abendsonne den Rest vom Foto vernichtete, den nicht schon die Gischt unkenntlich gemacht hatte. Hawa-I Hemdo, Gott der Touristen, erbarmte sich aber unser und schickte noch eine Wolke vorbei, damit wir zumindest ein gemeinsames Bild vor dem Wasserfall bekamen.

Der Fotograf: ein schlaksiger schüchterner Japaner aus Hokkaido, der hier mit seinen Eltern zu Besuch war.

Den Tag schlossen wir mit einem Bier im Gemeinschaftsraum der Parklodge ab. Wir unterhielten uns noch herrlich mit einem amerikanischen Ehepaar, Andy und „Husband“. Andy ist eine quirlige Asiatin und Husband, mit bürgerlichem Namen „John“ ein herrlich trockener Brite. Bei den Beiden konnten wir anschaulich lernen, wie man auch nach vielen Jahren ein glückliches Paar ist: Andy übernahm den Großteil der Kommunikation, Husband ergänzte die notwendigen Details. Am besten gefiel uns die Geschichte, wie beim Zusammenziehen der Dobermann von Andy um ein Haar den Pekinesen von John gefressen hätte. Soviel zu neurotischen kleinen Hunden, die sich mit den Großen anlegen und nur noch mit einem Bein aus dem Maul ragen. Mit diesem herrlichen Bild schlossen wir unseren Abend ab, und fahren jetzt mit ein bisschen Wehmut weiter nach Nara, dem Ballermann der Tempeltouristen.


Ein Blick in die Lobby der Park Lodge, der Mann im Vordergrund war ein Australier der versucht, in Japan mit Snackautomaten Fuß zu fassen. Es gibt nämlich nur etwas zu trinken, nie aber zu Essen in den überall präsenten Maschinen.
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