Tag 5+6 Nikko: Zurueck in die Vergangenheit

Da eine Rundreise keine Rundreise ist, wenn man immer am selben Ort bleibt, war am 5. Tag unsere erste Zugfahrt angesagt. Mit dem Zug in Japan zu Reisen ist ein Vergnügen, wenn überhaupt, dann ist der einzige Nachteil am Shinkansen, dass man so schnell am Ziel ist. Gerade, wenn man sehr viel zu Fuß erkundet, ist es eine Wohltat, ein paar Stunden nichts anderes zu tun (und tun zu können), als komfortabel in einem Sessel zu sitzen und Landschaft „to-sit“ zu genießen. Bei diesem Thema fällt mir auch ein, dass die To-Go Modewelle unserer Heimat in Japan nicht wirklich Fuß fasst. Wenn der Mund arbeitet, steht der Körper des Japaners. Es kann aber auch daran liegen, das es so gut wie keine öffentlichen Mülleimer gibt, und man die Becher für den restlichen Tag in der Hosentasche vor sich hinsuppen lassen müsste. Unser Rucksack zumindest hat inzwischen ein Muellfach, da wir besten Falls einmal am Tag einen Ort finden, wo wir die unzähligen Plastikverpackungen entsorgen können. Was uns aber aufgefallen ist, wenn die Menschen beim Gehen nicht Kaffee schlürfen oder sich etwas in den Mund stopfen, wirkt das viel gemütlicher. Und die Strassen sind sauber wie geleckt.

Statt Coffee to Go Sumo zum Anfassen.

Inklusive Umsteigen kommt man in etwa zwei Stunden von Tokio nach Nikko. Ich habe mich schon sehr auf diese Etappe gefreut, da Nikko  eine der schönsten Stationen auf meiner letzten Japanreise war. Es ist ein malerisches kleines Städtchen in den Bergen, und nach dem Vorabend im reizintensiven Tokio wirkt es hier erst einmal wie ausgestorben. Im Gegensatz zu meiner ersten Reise habe ich meine Ehefrau als Begleitung, weshalb die Option „Anreisen, Tourist Office, Auf Hotel hoffen“ nur eingeschränkt reizvoll war. Alleine kann ich auch bei Misserfolg mal in einem Waschsalon, einem Park oder einem Zug übernachten, aber so tolerant Imogen ist, möchte ich dennoch die frische Ehe  nicht gleich einem Stresstest unterziehen.


Das verschlafene Nikko am Abend.

Bei Nikko war das aber ganz einfach. Von meinem letzten Besuch kannte ich noch Kens „Nikko Park Lodge“, eine charmante Mischung aus Jugendherberge und  kleiner  Pension. Da wir bereits in Tokio gemerkt hatten, dass häufiger Ortswechsel nicht so viel Spass macht, haben wir drei Nächte gebucht. Leider war meine Erinnerung mit dem Namen der Unterkunft erschöpft, und so hatte ich mein erstes Wegfindungsabenteuer, da in Japan in der Tourist Information die Kenntnis von Fremdsprachen nicht als notwendige Fähigkeit für den Beruf betrachtet wird. So begann der Halb-Pantomimische Marathon mit japanischer Hilfsbereitschaft. Der alte Mann im Informationsbüro wusste, wo ich hin will, aber  er verstand partout nicht, dass ich einfach nur wollte, dass er mir mit dem Finger die ungefähre Lage auf einer Karte zeigt. Ich möchte lieber nicht wissen, was er dachte, was ich will, da er sehr verwirrt wirkte. Am Ende packte er seinen Krückstock und ging mit mir fast einen Kilometer, bis er mit dem Finger in Luftlinie auf mein Ziel zeigen konnte. Wirklich viel weiter war ich zwar nicht, aber er sah mich mit einem so hoffnungsvollen 80 Jahre alter Dackel Blick an, dass ich ihn mit einem mehrfachen „Wakarimashita“ (in etwa „ich hab’s verstanden“) ziehen ließ.

Damit der alte Mann sich nicht in seinen Kugelschreiber stürzt, schlich ich mich dann über die Seitenstrassen zurück und holte Imogen heimlich vom Office ab, da der alte Mann mit mir ohne sie gegangen war. Hätte er mich wieder gesehen, wäre das ganze von vorne losgegangen. Wir haben den Weg zur Parklodge dann auch fast ohne Zwischenfälle gefunden, der 3 km Umweg zum Sportfischerteich ist in meinen Augen vertretbarer Schwund. Angekommen ging es aber umgehend in das schlichte aber gemütliche Zimmer, wo meine Frau sofort das Bett in Beschlag nahm.

Das magische Geheimnis von Kens Parklodge: Elektrische Heizunterlagen im Bett. Für Frauen mit kalten Füssen ein Paradies, aus dem man sie nur noch mit der Bechstange bekommt

Als ich Imogen dann für das Abendessen aus ihrem Kuschelparadies der Wärme gelockt hatte, begegneten wir im gemütlichen Gemeinschaftsraum Rob, ein lustiger deutsch sprechender Amerikaner, der drei Mal im Jahr zu Besuch kommt, um Ken, den Herbergsvater, zu treffen. Zur Feier der frischvermählten  durfte Imogen sich auch gleich noch einmal von den japanischen Naschereien bedienen, die Rob besorgt hatte. Den  Abend  ließen Imogen und ich dann bei einem leckeren Essen in Nikko ausklingen.

Auf der Jagd nach der ersten durchgeschlafenen Nacht griff Imogen sogar zu einem Bier. Mmmmmmh Kirin, da war ich kurz verwirrt ob ich sie massieren oder essen soll.

 


Zum Thema Bier: Die kleine Brauerei in Nikko ist dem Erdbeben von Fukushima wirtschaftlich zum Opfer gefallen. Die Betroffenheit ist greifbar.

 

Heute morgen lockte uns dann strahlende Sonne aus dem geheizten Bett, und nach einem kleinen Frühstück ging es los. Leider kann selbst Ken kein ordentliches Frühstück anbieten, Japaner haben bei aller Liebe zum Grünen Tee überhaupt kein Verständnis für Kaffee. Bis heute war selbst der beste Kaffee hier ein abscheuliches Spülwasser, dass ich hierzuland nicht einmal meinem Feind servieren wurde. Auch beim Toast gab es nur halbherzige Marmelade dazu. Da dachte ich etwas wehmütig an Tokio, wo wir in Ueno leckeres Obst am Stiel zum Frühstück hatten.

Um einen Neustart meiner Geschmacksknospen nach diesem Trauma durchzuführen, spielte ich wieder einmal japanisches Getränkeautomaten-Roulette. Meine Wahl fiel auf eine Power Rangers Metallic Dose, deren Inhalt den Kaffee sofort vergessen gemacht hat. So ein grässliches Getränk habe ich in meinem Leben nicht gekostet, und ich habe beim Austrinken abwechselnd gelacht und geweint. Stellt euch vor, jemand nimmt den billigsten Automatenkaummi und löst diesen in  mit Süßstoff  angereichertem Wasser mit 92% Kohlensäure Gehalt auf. Jetzt potenziert diesen Geschmack ungefähr mit dem Faktor Hundert, dann habt ihr in etwa eine Vorstellung, wie das geschmeckt hat. Red Bull ist ein erlesener Rotwein dagegen.

Die Optik der Dose hätte Warnung genug sein sollen. 

 

Nach diesem Aufwecker ging es dann zum Toshugu Schrein, dem touristischen Juwel Nikkos. Hier konnte meine Frau einmal japanischen Tempel Deluxe genießen, während ich die Muße hatte, mir entspannt Details anzuschauen, japanische Touristen zu Unterhalten und meine zarte Haut von der Sonne anrösten zu lassen. Imogen erkannte an, dass ihre Haut etwas dunkler ist als meine, aber selbst ein Albino hat einen dunkleren Teint als Ich. Um das kulturelle Programm etwas aufzuheitern (auch wenn wir ein paar schöne Fotos für die gemacht haben, die noch nie etwas vom Toshugu Schrein gesehen haben), stellten wir zwei beliebte Motive nach:

Die berühmten drei Affen (Höre nicht Böses, Sage nichts Böses und Sieh nichts Böses)

Das schlafende Kätzchen (Neko)

 

Als wir gerade im schönsten Besichtigen waren, demonstrierte Nikko, dass es eben in den Bergen liegt: Innerhalb von 15 Minuten zogen schwere graue Regenwolken auf, welche sich in einem hochmotivierten Wolkenbruch entluden. Auch Imogen ist es aufgefallen, dass jeder Mensch in Japan seinen Beruf mit grosser Begeisterung ausübt. Ob das ein Raketenwissenschaftler oder der Getränke-Nachfüller ist, jeder Handgriff wird mit Worten erklärt und so hingebungsvoll durchgeführt, als ob es die letzte Handlung auf Gottes Erden und das unauslöschliche Vermächtnis wäre. Also ich persönlich hätte den Wolken auch ein halbherziges Tröpfeln erlaubt, ach was sage ich, gegönnt!


Noch war gut lachen vor dem Wolkenbruch 

Diese Achtsamkeit im Handeln legten die japanische Touristen auch im Umgang mit Kindern und Älteren an den Tag. Selbst der modischste junge Mann, der vor lauter Brust heraus Strecken kaum seine 1.62m fortbewegen kann, führt seine uralte Oma so liebevoll die Treppen hoch, dass ihn hierzulande jede Schwiegermutter sofort ins Poesiealbum kleben würde. Bei Kindern ist es ähnlich: Sonst sehr reservierte ehrenwerte Geschäftsmänner tragen stolz den Tragegurt und lassen ihren winzigen zuckersüßen Nachwuchs auf den Armani Anzug sabbern. Meine Frau hat mir mit einem kleinen Zaunpfahl gewinkt, wie unglaublich sympatisch eine solche Tragebereitschaft doch bei einem Mann wirkt. Mir hingegen fielen vor allem pragmatisch sinnvolle Dinge auf: So hatte hier jede Japanerin mit Kindern im Stillalter eine Art Schürze dabei, die mit einem Handgriff über die Brust geworfen werden konnte und so das Festmahl unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Ich habe das in dem Umfang zu Hause noch nicht erlebt, und votiere dafür, dass dieser Trend auch in Deutschland Alltag wird.



Gar nicht meine Gruppe,aber die hatten so hübsch posiert

 

Bevor wir zurück zum Hotel gingen, um die Füße für die Wanderung an den Wasserfällen Morgen auszuruhen, gönnten wir uns noch einen Rundgang in einem wunderschönen japanischen Garten. Ich kann mich daran nicht satt sehen, und wenn ich jemals das Geld haben sollte, werde ich mir einen Gärtner aus Japan einfliegen lassen. Am besten einen von diesen kleinen Greisen, die hier mit der Geduld eines Elefanten und der Energie eines Durazell-Hasen jede noch so kleinste Pflanze perfekt trimmen. Auch Imogen hat es sehr gut gefallen, und wir haben zusammen statt Tauben die Koi-Karpfen im Teich gefüttert. Damit noch etwas zu erzählen bleibt, wenn wir wieder zurück kommen, schließe ich für heute mit der besinnlichen Schönheit eines Japanischen Gartens.

 


Imogen beim Koi-Kucken. Was mir die Tiere viel sympatischer als Tauben macht ist, dass sie einem nicht auf den Kopf kacken nach dem Füttern.

 


Ein perfekter Ort zum Entspannen
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