Tokio Tag 4 – Last Orders

Das heutige Tagesziel hieß Odaiba. Wir haben es uns als Schmankerl für den letzten Tag in Tokio aufgehoben, da ich diesen Teil der Stadt noch nie gesehen habe. Odaiba liegt im südlichen Teil Tokios in der Hafengegend. Wenn ich den Reisefuehrer richtig verstanden habe, hat man früher hier den Müll ins Meer gekippt, und irgendwann beschlossen, die Deponie in ein Einkaufs- und Unterhaltungsviertel umzuwandeln.  Vorstellen kann ich mir das gut, auch wenn es bis auf direkt am Wasser überhaupt nicht nach Müll riecht. Bereits die Anfahrt nach Dabai  ist ein  Ereignis für sich, da man im Normalfall die sogenannte Regenbogenbrücke überquert. Wir haben uns für die Japanisch Futuristische Variante entschieden und die vollautomatisierte Yurikamone Linie gewählt.  Diese ferngesteuerte Züge zuckeln auf einer Hochtrasse durch die Häuserschluchten von Tokio. 


Da die Yurikamone Zuege ferngesteuert sind, kann man sich ganz vorne fast wie der Fahrer fühlen.

Während ich inzwischen langsam den Jetlag überwunden habe, kämpft Imogen noch sehr mit dem Schlaf oder genauer gesagt mit dem Mangel an selbigem. Da ist es wieder, das einzige Problem mit einer Rundreise zu den Flitterwochen: Will man etwas sehen, fehlen die Ruhephasen und Freiraeume, die man für eine völlig harmonische Zeit benötigt. Als Warnung und gleichzeitig Liebeserklärung an meine Frau: Wer es einfach und unkompliziert will, der fährt in den Flitterwochen an den Strand. Wenn man aber seinen Partner auch dann noch liebt, wenn er das fünfte Mal stehen bleibt und im Rucksack kramt (die Frau) oder  trotz nahendem Kollaps  unbedingt noch die gesamte Gundam Roboterausstellung sehen will (der Mann), dann bekommt man nach den großen Emotionen der Hochzeit noch viele unvergessliche gemeinsame Erinnerungen.  

Wie jeden Tag hatten wir ein schönes Kompromissprogramm ausgehandelt. Wir begannen mit einem romantischen Teil, der Standpromenade vor dem Deck SS (das war wirklich so beschriftet, ich frage mich ob da noch unverarbeitete Vergangenheit schlummert). Ohne den ständig tröpfelnden Regen und eine lautstark streitende chinesische Reisegruppe wäre es wohl auch noch einen Hauch romantischer ausgefallen.


Romantisch im Regen am Strand – da ist der Mann nicht nur Geliebter, sondern auch Schirmstaender beim Muschelsuchen


So ein schöner Rücken entzückt auch bei schlechtem Wetter

Da man zwar von feuchten Träumen spricht, aber durchgenässte Kleidung weniger Spass macht, drehten wir eine kleine Runde durch die Einkaufspromanden am Strand. Meine Frau zeigte ihre Liebe, indem sie an den vielen tollen Kleider Geschäften vorbeiging, wobei ich bei der Auswahl durchaus die eine oder andere Stunde Shopping verstanden und unterstützt hätte. Mit dem notwendigen zeitlichen Sicherheitsabstand ist Mann gerne großzügig. Wir machten sogar einen kurzen Abstecher in eine kleine, höllische laute und typisch japanische Spielhalle. Während ich den mir wohlbekannten Taiko Trommelautomaten behämmerte, sichtete meine Frau den aktuellen Hype für die Damenwelt: Extrem aufwändig gestaltete Fotokabinen. Anscheinend lassen die Japaner liebend gern ihr Geld dafür, sich bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit photoshoppen und wie eine wahre Schönheit „Super-Sparkly“ gezaubert zu werden.


Romtomtomtom – diese Trommeln machen einen Heidenspass, auch wenn die Musik und die begleitende Grafik typisch Japanisch schrill sind. Die Japanischen Jugendlichen spielen übrigens Stücke wie Maschinengewehrsalven


Auch für den Spieltrieb der Frauen ist gesorgt. Man sieht klar, Natürlichkeit steht hier im Vordergrund.

Als Imogen sich dem Tinitus nahe fühlte, nutzten wir eine kurze Pause im beharrlichen Tröpfeln es Regens draußen, um ein Foto mit der japanische Freiheitsstatue zu machen.  Den Japanern war das Eiffelturm Imitat wohl noch zu wenig, deswegen stellte man sich ein 5 Meter Exemplar der alten Dame vor ein Einkaufszentrum. 


Born in the US….Aeh?

Als wir dann beim nächsten Stop ankamen, war meine Frau am Ende ihrer Kräfte. Immer wieder legten wir einen kleinen Zwischenstopp ein, der von lebensnotwendigen Damen-Kruschel Aktivitäten begleitet wurde. Uns ist das erst am Abend klar geworden, aber anscheinend haben Frauen das tiefe Bedürfnis, einen mehr oder minder großen Behälter mit sich zu führen, in dem sich alle Ausrüstung befindet, um nicht nur die postnukleare Wüste von Japan, sondern auch eine mögliche Alieninvasion bequem zu überdauern. Die einfache Existenz dieses Survival Kits erfüllt das Frauenherz aber noch nicht mit Glück, sondern dafür muss der Inhalt gesichtet, angefasst, ausgeräumt, eingeräumt, sprich – präsent gemacht werden. Also zumindest ist das mein Verständnis, Imogen wuerde das wohl wieder anders beschreiben.


In welcher Hosentasche war gleich noch einmal der Flammenwerfer?

Imogen entließ mich mit einem ähnlich liebevollen Kuss wie dem, den wir vor dem „The Kiss“ fotografiert hatten, und sank erschöpft in der Futterhalle des Einkaufszentrums nieder, während ich neugierig die oberen Stockwerke erkundete. Der Ort für diese Pause hätte nicht besser sein können, denn im 5ten Stockwerk war das „Tokio Gundam Battlefront Center“ einquartiert. 

Hierzu muss ich ein bisschen was erklären: Gundam ist die Japanische Antwort auf Transformers und eine immens beliebte und erfolgreiche Manga Serie. Im Gegensatz zu den amerikanische Genossen sind die Kampfmaschinen selbst keine Lebewesen, sondern vielmehr eine Art wandlungsfähiger Superpanzer der Earth Defense Force, in dem ein Pilot sitzt. Leider hatte ich keine Zeit, mich drei Stunden anzustellen, um mich in den hydraulisch gelagerten Kampfsimulator zu schwingen, aber immerhin konnte man gratis die gefühlt 1000enden Modelle der Gundam Roboter in einer Ausstellung anschauen. Vor dem Einkaufszentrum stand eine sehr eindrucksvolle 1:1 Replika aus Stahl, die ich ausgiebig fotografiert habe. Wenn ihr Zeit habt, schaut euch die einmal in der Gallerie an, es war jede einzelne Wartungsklappe beschriftet.


 Hier wurden alle Männer zu Kindern. 15 Meter Stahl, schweig still mein pochend Herz


Im „Café Gundam“ haette ich mir dann fast den passenden Merchandising Regenschirm gekauft. Einfach, weil „Lightsabel“ so lustig zu lesen war. 

Bevor wir für den letzten Abend nach Shibuya fuhren, schleppte ich Imogen noch in die japanische BMW Welt, das Toyota Meg@Web. Hier stellt der unmögliche Autohersteller seine neuesten Modelle vor. Sehr angenehm war, das man sich in jedes Auto setzen konnte, das dort stand, ohne dass man Personal im Genick hatte. Theoretisch gab es auch jede Menge Rahmenprogramm, unter anderem kostenlose Probefahrten mit allen Modellen auf dem Gelände (mit Voranmeldung), Rennsimulatoren, eine kleine Go Kart Strecke, und und und. Besonders angetan hatte es mir die Zukunftsstudie eines 1-Mann. Elektroflitzers, der wie ein Turbo-Steh Rollstuhl aussah. Ich war so sehr von dieser technischen Spielerei begeistert, dass die zuständige Dame  auch ein Auge beim Gewichtslimit für die Probefahrt zugedrückt hätte. Leider habe ich das Limit um mehr als eine Augenbreite überschritten, aber ich habe mich sehr gefreut, dass in Japan ein Otaku (zu neudeutsch sowas wie ein Nerd) herzlich Willkommen ist. Da weiß man Technikbegeisterung einfach noch zu schätzen! 



Leider nicht meine Gewichtsklasse: Der Toyota iReal

Am Abend hatten wir dann das erste Mal ein wenig Probleme. Ich wollte für das letzte Essen in Tokio etwas ganz besonderes, und überredete meine Frau, mit mir in ein Yakiniku Restaurant zu gehen. Yakiniku ist eine besondere Zubereitung, wo die Gäste das Fleisch roh bekommen und am Tisch über offener Flamme grillen. Ich war von Anfang an ein wenig im Stress, da ich nicht nur Deutsch-Japanisch übersetzen musste, sondern noch simultan Mann-Frau für Imogen. Nach einigem Hin und Her mit viel Gezeige hatte sich herausgestellt, dass der Grill erst ab 2 Personen angeworfen wird. Da ich schon von den Grilldüften ganz benebelt war, winkte ich großzügig nach dem Motto „einfach her mit dem Fleisch“, was wiederum bei der besseren Hälfte nicht ganz so gut ankam, da sie eigentlich kein Fleisch isst. Also bestellten wir noch ein schickes Reisgericht dazu, und weil eh schon alles wurscht war, eine halbe Bier für gut 10 Euro. Die Stimmung beim Essen war dann ein wenig gedrückt, aber wenn ein Mann im Fleischwahn ist… Die drei Japaner am Nachbartisch haben dann eine Fuhre nach der anderen angeliefert bekommen, während mein Teller schnell weggegrillt war und ich sehnsüchtig nach drüben blickte. Pünktlich zum Ende unserer zugewiesenen Essenszeit (man kann so viel essen wie man will, hat aber nur begrenzte Zeit) fand ich dann heraus, dass man neue Fuhren über das rein textgesteuerte Menü am Tischrand bestellen musste. Es war dann gut, dass wir gehen mussten, ich haette sonst im Futterrausch den Nachbartisch überfallen, und sie haetten mich mit halbrohen Fleischbrocken im Mundwinkel abgeführt (siehe -> Flitterwochen, Knast, No-Go). Im Nachhinein haette ich die ganz Situation mit mehr Großmut tragen können, aber werft einem Haifisch ein blutendes Rind in den Ozean und sagt ihm dann, er darf nur einen Bissen, weil Frau Haifisch nicht mitreißen kann. Ja der Haifisch grinst auch da, aber nicht weil er so gute Laune hat.



5 Makis, eine Teller hauchdünne Fleischsstuecke, 2 Getränke, 70 Euro. Ich glaube so ein Abend ist bei jedem Urlaub einmal dabei.

Zum Abschluss des Tages schlenderten wir ein letztes Mal durch die Lichterkanonen Shibuyas. Die Menschen waren alle fröhlich und man merkte sehr, dass die Japaner es schätzen, am Wochenende „betrunken“ zu sein, und sich somit einmal etwas gehen zu lassen. Wir haben neugierhalber auch den Love Hotel Hill gesichtet. Die Zimmer sahen auf den Bildern spektakulär aus, aber nach dem Erlebnis vom Abendessen war mein Selbstvertrauen in sprachliche Dingen ein wenig angeschlagen, und ich hatte Angst, am Ende ein Zimmer mit Elektroschocks im Bettgestell zu bekommen. Also blieb es bei einem romantischen Spaziergang. In der Ubahn hat sich dann noch eine junge Japanerin in der Tür eingeklemmt. Wie bei afrikanischen Affenfallen hing die Pfote fest, weil sie nicht bereit war, ihr Handy loszulassen. Die Japaner lösten die Situation durch beherztes Zur-Seite schauen, deswegen habe ich meine haarigen Gaijin Pranken in den Türspalt gequetscht und die Ubahn nochmal aufgehebelt. Zur Show mit einem schönen Grunzen. Die gerettete Dame stürmte dann mit hochrotem Kopf in den nächsten Wagen, ich glaube es wäre ihr weniger peinlich gewesen, durch den Ubahn Tunnel geschleift zu werden, als dass ich regelwidrig die Türe aufstemme.


Achtet auf die Plakate im Hintergrund. Vielleicht war ich Zeuge eines versuchten Selbstmordes, da keine J. Bieber Karten mehr verfügbar waren.

Leutseeliger war ein Trio, das wohl international ist. Junger Mann, etwas schlaksig, der Blick leicht glasig. Eine etwas pummelige Frau, die an den Mann gelehnt und so betankt ist, dass sie auf nichts mehr reagiert. (alle Restwahrnehmung konzentriert sich auf ihren Fang an den sie sich kuschelt). Und Last but Not least die beste Freundin/Schwester, die weder Mann noch Alkoholpegel hat, und die beiden volltrunkenen Freunde heil nach Hause bringen darf. Mit diesem niedliche Trio schlossen wir unseren letzten Abend in Tokio ab, mit der netten Erkenntnis, dass bei aller Entfernung und aller Fremde doch auch immer etwas vertrautes ist.

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