Die Reise – eine Zusammenfassung

Mit einer guten Portion Herzschmerz in der Brust sitze ich im vollen Flieger nach Heathrow, während ich die ganze Reise noch einmal durchgehe. Ich habe mein Kobe-Steak bekommen, ein Kaiseki gefuttert, in einem Buddhistischen Tempel übernachtet, Mönchen beim Meditieren zugeschaut, japanisches Barbequeue gemacht, die verrückten Straßen des Tokyoter Nachtlebens überlebt, Berge bezwungen, Täler durchwandert, Flüße, Bäche, Seen, Gärten, Paläste und Tempel besichtigt, mit einigen Japanern Freundschaft geschlossen, bei einem Improkonzert mitgemacht, am bunten Trubel eines Hanami im Yoyogipark teilgenommen,, Karaoke gesungen, eine halbe Million Gräber bei Nacht und voller Blase überwandert, Zen-Yoga geübt, meditiert, mich mit rebellischen Rehen auf Miyajima gestritten, die Auswirkungen einer Atombombe im Friedensmuseum studiert und noch vieles mehr.
Insgesamt habe ich aus den überall vorhandenen Automaten 87 Flaschen Erfrischungsgetränke gezogen, 3867 Fotos gemacht, täglich im Schnitt 5 Stunden im Bett und eine Stunde im Zug geschlafen, 14 Städte und Orte bereist, gute 52 Stunden in japanischen Zügen zugebracht, in 7 Waschsitzungen auch das letzte Hemd verbrannt, 16 Unesco-Welterbe gesehen, 6 Mal geflucht, dass in japanischen Hotels keine Klobürsten angeboten werden, ein paar hundert Mal arigato gozaimasu und chotto matte gesagt, eine Flasche Hustensaft und 6 Aspirin verbraucht, 19 Schulklassen begrüßt und ein paar dutzend Mal ‚Takai des!‘ von japanischen Kleinkindern gehört.
Meinen Lesern danke ich für die Aufmerksamkeit, mir hat das Schreiben einen riesigen Spaß gemacht! Mir ist das Land – und besonders die Japaner – sehr ans Herz gewachsen. Durch mehrere ‚Pinky Promises‘ (Einhaken vom kleinen Finger) gebunden muss ich so oder so wieder hin, und das werde ich ausgesprochen gerne machen.
Nihonwa sugoi des!!!

Letzte Station: Nikko – Teil 2, der Kulturteil

Großes Glück schlägt doppelt zu, denn Nikko ist nicht nur wegen der Park Lodge einen Besuch wert. In der Tat könnte ich mir keinen schöneren Ort wünschen, um mich von diesem grandiosen, skurillen, ästhetischen Land zu verabschieden.


Die Pagode des Toshogu Schreins. Ich habe nochmal nachgelesen: Als Ersatz für das Fundament wird ein Pendel verwendet, das Innen aufgehängt ist.

Ich habe lange überlegt, ob ich Nikko als allerersten oder allerletzten Stop in Japan empfehlen soll. An sich ist es als erster Halt empfehlenswert, da man im Park Lodge mit unzähligen Inspirationen für seine weitere Reise versorgt wird. Aber auf der anderen Seite wird hier einem konzentriert das Beste von beiden Seiten Japans geboten: Die Tempelanlagen, allen voran der Tohagu-Tempel mit dem Sonnentor, sind nicht die größten Bauten mit den dicksten Buddhas, haben nicht die ältesten Bäume oder meisten Kois im Teich. Aber die Farbenvielfalt der Dekorationen und die zahllosen, feinstens gearbeiteten Details an jedem Bau suchen ihresgleichen. Wer diese Pracht gesehen hat, wird die anderen Tempel in Japan sicherlich noch genießen können, aber im Kontrast kommt einem alles sehr schlicht und streng vor. Das Beschreiben ist wirklich schwierig, deswegen will ich hier Bilder sprechen lassen:


Ein Teil der Tempelanlage von Toshogu. man beachte die Farbenvielfalt.


Das Sonnentor – lange nicht so riesig und Eindrucksvoll wie das Vortor der Daibutsu-den, aber in seiner Handwerkskunst, den Farben und den Details unübertroffen. Selbst nach einer halben Stunde findet man eine Kleinigkeit, die bis dahin entgangen war.


Solche kleinen Personengruppen zieren die unterste Leiste.


Farbenprächtige Drachenköpfe und filigran gearbeitete Goldeinlagen.


Das schlafende Kätzchen. Schützt vor Bösem und ist natürlich niedlich.


Alle inneren Tempelwände waren beidseitig mit Motivtafeln geschmückt.


Eine dieser Tafeln in der Nahaufnahme – vom Gesamtbild bis zur kleinsten Einzelheit, hier wurde alles bedacht.


Die berühmten drei Affen als Tempelrelief.


In dem Tempel gibt es auch ein weißes Pferd, das von der Neuseeländischen Regierung gestiftet wurde. Es ist das einzige heilige Pferd in Japan, und der Grund, warum in Nikko sehr viele Neuseeländer sind.


Eine der bunten Statuen, die in allen Toren als Wächter stehen.

Zum andern bietet Nikko auch eine herliche Landschaft: Nikko liegt wirklich im Grünen, und nur die Insel Miyajima kann mit der atemberaubenden Umgebung hier halbwegs mithalten. Ich habe eine Wandertour vom Yamato Onsen bis zu dem Ryozu Wasserfall gemacht.


Der Gebirgssee. Da er auch von den heißen Quellen gespeist wird, kann man auch mal statt klarer Bergluft eine fiese Schwefelschwade erwischen.


Einer der beiden Wasserfälle, die ich passiert habe.


Die Sumpflandschaft im Nationalpark von Nikko, im Hintergrund die Berge. So richtig zur Höchstleistung dreht die Gegend aber erst im Hochsommer auf.


Der Drachenkopf-Wasserfall.

Der Tag war auch voller wundersamer Erlebnisse, wie eine Neuseeländerin, der ich insgesamt 5 Mal mitten im Nirgendwo über den Weg gelaufen bin, ein tolles Abschiedskonzert in der Nikko Park Lodge und eine wüste Krötenorgie. Aber all dies gibt es dann im Detail von mir erzählt.

Letzte Station: Nikko – Teil 1, die Nikko Park Lodge

Ursprünglich stand Nikko nicht einmal auf meinem Reiseplan, und ich verdanke es einem reinen Zufall, dass ich beschlossen habe, als letzte Station vor Tokyo und dem Rückflug das kleine Städtchen Nikko anzusteuern. Direkt nach der Ankunft stand ich vor einem großen Problem: Ich wusste zwar, das am 29.04. ein Feiertag ist, aber nicht, dass dieser Feiertag zur sogenannten goldenen Woche ausgebaut wird. Sinnigerweise hatte ich die falsche Tourist Information gewählt, die keine Hotelreservierungen anbot, und so packte ich ein Bündel Prospekte, eine Tasche voll Kleingeld, und machte mich ans spannende Abenteuer der Hotelsuche. Nach 12 Anrufen war mein Münzvorrat übel dezimiert, und die sinkende Sonne stellte mir allmählich ein Ultimatum: Bleiben und auf das Glück hoffen und Notfalls auf der Straße schlafen, oder mit eingekniffenem Schwanz nach Tokyo. Da ich mich durch mehr Mut als Vernunft auszeichne, wählte ich Variante 1. Und tatsächlich, mit der sprichwörtlich letzten Münze fiel der Groschen: Ich versuchte es bei der Nikko Park Lodge, die laut Prospekt nur Doppelzimmer anbot.


Der erste Eindruck von Nikko: Grün, bergig, lauschig.

Der ausgesprochen muntere Angestellte bestätigte dies und konnte seine Überraschung nicht verbergen, als ich erklärte, dass ich eben für zwei Personen zahle (breit genug bin ich ja). Ich glaube er wollte echt meinen Geldbeutel schonen, aber das Zimmer ist gar nicht so teuer, und er gab mir sogar noch einen großzügigen Rabatt. An dieser Stelle hatte ich noch keine Ahnung, was für ein unverschämtes Glück ich hatte, aber bekanntlich ist das Glück ja mit den Du.. äh Tüchtigen. Gleich zu Beginn wurde ich vom Koch abgeholt, der mich auf dem Weg zum Einkaufen mitnahm. So besuchten wir einen Großmarkt und einen 100yen Markt, in dem man jeden möglichen Krempel für 100 Yen bekommt.


Ein japanischer 100 yen Laden.

Das Nikko Park Lodge ist die mit Abstand genialste und unterhaltsamste Unterkunft, die ich in Japan bezogen habe. Es ist eine Mischung aus Herberge, Berghütte, Mini-Hotel und Hardrock Café, ein winziger Holzbau im Stadtpark, der von einem ehemaligen japanischen Rockmusiker aus Tokyo geführt wird. Ken wird von Ryazu unterstützt, einem ehemaligen Shinto-Mönch aus Osaka, der neben seiner Aufgabe als Koch (rein veganisch) jeden Morgen um 07:00 Zen Yoga Stunden gibt (ich war dabei, eine klassische Stefan-Kataströdie).


Das Nikko Park Lodge. Einer der besten Orte, um in Japan zu Übernachten und meine Messlatte an Gastfreundschaft in Japan.

Des weiteren arbeiten für ihn eine zierliche Japanerin, die gut Französisch spricht, eine Neuseeländerin und eine Österreicherin aus Innsbruck. Jeder Gast wird von allen wie ein Familienmitglied begrüßt, und man muss/darf zuerst ein mal mit der ganzen Runde auf einen Tee in die Küche, wo einem enthusiastisch die tollsten Wanderwege rund um Nikko erläutert werden, während Ken Gemüse schnippelt, der Mönch die Pfannen schwingt und man selbst ständig Geschirr weiterreicht.


Der Gemeinschaftsraum. Abends lungern hier Menschen aus aller Welt, und jeder redet mit jedem.

Der zweite Dreh- und Angelpunkt ist der Gemeinschaftsraum, ein uriger großer Raum mit dunklen Holztischen, zwei gemütlichen Sofas, in denen ständig jemand herumlungert, und einem Verstärker samt E-Gitarre sowie zwei akkustische Gitarren. Abends versammeln sich die Gäste und Ken beweist an der E-Gitarre, dass auch Japaner verdammt gut abrocken können. Ab 22:00 beginnt die Abendruhe, und das schwere Gerät wird gegen die leiseren klassischen Gitarren getauscht. Erstaunlich, wie viel Leute Gitarre spielen können, und beim gemeinsamen Singen und Spielen kommt allerbeste Lagerfeuerstimmung auf. Das Publikum sind überwiegend westliche Touristen, und zum allergrößten Teil Neuseeländer. Das hat auch einen Grund, doch mehr dazu später. Alle sind Rucksackreisende um Mitte 20 bis 30, und allein wegen der Möglichkeit, sich in so einer tollen Atmosphäre mit vielen Leuten über die besten Ziele und Erlebnisse in Japan auszutauschen ist das Nikko Park Lodge ein klares MUSS für den Japanreisenden. Die Übernachtung selbst schießt einen in seine Jugend zurück, denn wer kein Doppelzimmer hat, schläft in Zimmern mit Stockbetten. Auch dort ist aber jedes Bett mit einer beheizbaren Matraze ausgerüstet, was die Nächte herrlich kuschelig macht.


Rechts der Mönch an der Klassik, Pete am Bass und links versteckt ein ehemaliger Bandkollege von Ken.

Zum krönenden Abschluss gab es gestern Abend noch ein Impro-Blues Konzert, mit Ken an der Leadgitarre, zwei weiteren Japanern als Verstärkung, Pete, einem jungen Neuseeländer am E-Bass, Daniel, einem Kanadier der im Norden Japans Grundschulkinder in Englisch unterrichtet, als Sänger und an der Mundharmonika, und meine Wenigkeit als Percussion an einem improvisierten Schlagzeug aus Dosen, Bierflaschen und einer leeren Tonne, wenn ich nicht gerade gefilmt habe.


Links nochmal ein Bandkollege von Ken, rechts daneben ein Freund von Ken, der zum Jammen gekommen ist. Er spielt auf einer echten Fender von 1960 und ist richtig gut.

Ken selbst scheint eine Art Anti-Foto Schutzfeld zu haben, da alle Aufnahmen von ihm unscharf geworden sind. Es war auf jeden Fall ein riesen Spaß, und dank dem Yoga heute Morgen bin ich gut in den Tag gekommen. Nikko Park Lodge – ich komme wieder!

Nara am Nationalfeiertag

Nach meinem Frühstückstee im Kloster fühlte ich mich ausgeruht und für den folgenden Tag gewappnet. Die Wahl der Route erwies sich als sinnvoll, da Nara ein perfektes Ziel für einen Tagesausflug ist: Die attraktiven Sehenswürdigkeiten sind nahezu alle auf den großen Park konzentriert, den man an einem verlängertem Nachmittag inklusive einer 3-Stündigen Tour auf den Berg absolvieren kann, dessen Name mir gerade nicht einfallen will. Der Bahnhof von Nara ist ein abscheulicher Bunker, der einen ernsthaft zweifeln lässt, ob man wirklich bei dieser Stadt angelangt ist, die sich bei den Japanern höchster Beliebtheit erfreut.
Auch das Bahnhofsviertel, in dem ich mein Quartier bezog, glänzt durch hässliche Betonklötze. Schon etwas ernüchtert bog ich in die Sanjo-Dori ein, welche mir die Dame vom Tourismusbüro am Bahnhof empfohlen hatte, und schluckte erst einmal: Die breite Allee war von Menschenmassen geradezu überschwemmt. So presste ich mich bei glühender Hitze über 2 Kilometer durch das wimmelnde Chaos – in Jacke und Pullover, die ich am Morgen in der frischen Bergluft angezogen hatte. Zur Belohnung erreichte ich endlich den Stadtpark, in dem geballt alles steht, was man in Nara gesehen haben sollte.


Schildkröten im kleinen See vor dem Stadtpark. Wen übrigens einmal eine Schildkröte verfolgt hat, der weiß, dass sie ihr Ziel unerbittlich verfolgen, und einem sehr schmerzhaft in die Zehen zwicken.

Gleich zu Beginn steht sozusagen als Wegweiser eine imposante, 5-Stöckige Pagode. Ich muss zugeben, dass ich meistens zu faul bin, mir die Jahreszahlen, den Erbauer und solche Dinge zu merken. Ich erfreue mich an der Form der Bauten und amüsiere mich immer darüber, wie die Japaner an fotogenen Stellen Schlangen bilden, damit jeder sein Bild aus dem perfekten Blickwinkel hat. Ich stehe meistens entweder zwei Meter weiter links und nehme das unverschämt andere Foto in Kauf, oder stelle mich einfach dahinter, weil ich in Kopfhöhe meistens freie Sicht habe.


Interessant an Pagoden ist, dass das Grundgerüst aus den Balken nicht fest verstrebt, sondern wie Mikadostäbchen gestapelt ist. Dadurch sind diese Gebäude sehr flexibel und überstehen Erdbeben meist unbeschadet.

Auch in Nara gibt es Hirsche (Rehe, Dammwild, was weiß ich, ich bin kein Botaniker), die aber völlig anders sind als die Herrscher von Miyajima: Nicht nur, dass es kein Fütterungsverbot gibt, nein, an jeder Ecke werden besondere Kekse verkauft, die man an die Tiere verfüttert. Das Wild ist zwar genauso zutraulich wie das auf der Insel, aber sonst sehr langweilig im Verhalten. Die braunäugigen Bettler lungern an den Wegen herum und warten darauf, dass ihnen ein Keks in den Mund gesteckt wird. Von der leicht zynischen, lässigen Art ihrer Kollegen ist da nichts mehr übrig.


Ich habe mich bewusst geweigert, die Tiere zu füttern. Damit war ich leider der einzige.

Nach einem schattigen Spaziergang durch den Park erreichte ich den Todaji-in Tempel, der das größte Holzgebäude der Welt ist, den größten Buddha der Welt (16m hoch, satte 437 Tonnen Bronze) hat und der entsprechend von Touristen bestürmt wird.


Die Straße zum Tempel. Unzählige Souvenirstände und viele, viele Leute. Wenn man wie eine Sardine eingequetscht die Straße entlang gespült wird, würde man sich am liebsten den Weg mit einem Flammenwerfer bahnen.

Dummerweise hatte ich vergessen, das am 29.04. ein nationaler Feiertag in Japan ist, und deswegen ein entsprechender Andrang herrschte. Auf der anderen Seite ist das auch eine sehr spezielle Erfahrung. An dieser Stelle möchte ich einmal ausgesprochen die Sicherheit in Japan loben. In den meisten Ländern würde es an solchen Orten vor Taschendieben nur so wimmeln, hier aber geben sich alle höchste Mühe, einander nicht anzurempeln. Im Gegenteil, ein Japaner rannte hinter einem Touristen her, entschuldigte sich mit zig Verbeugungen für die Störung, und überreichte ihm die prall gefüllte Geldbörse, die er an einem Stand verloren hatte.


Nein, das ist nicht das größte Holzgebäude der Welt. Das ist nur das Tor davor.

Trotz des Gewimmels nahm ich mir jede Menge Zeit, um das wirklich eindrucksvolle Gebäude des Todaji-in auf mich wirken zu lassen. Man kommt sich wahrhaftig winzig vor.


Geradeaus: Die Daibutsu-den, das größte Holzgebäude der Welt. Die vielen Leute fand ich hier ganz praktisch, so kommen die Ausmaße besser zur Geltung.


Und noch einmal von links, die kleinen Kleckse sind die Touristen.

Ab dem Eingangsbereich wurde der Andrang glücklicherweise etwas geringer, da meisten Japaner einen Schuss machen, und sofort weitergehen. Der Daibutsu in Kamakura war schon eindrucksvoll, aber hier spielte definitiv die Oberliga. In der gewaltigen Halle befindet sich nicht nur der große Buddha, sondern auch noch zwei goldene Statuen, die zu seiner Linken und seiner Rechten sitzen.


Der große Buddha von Nara, Weltrekordhalter und etwas zerstreut – er hat schon diverse Male seinen Kopf bei Erdbeben verloren. Auf der goldenen Scheibe befinden sich weitere Buddhas.


Sein Begleiter zu seiner Linken. Heißt… äh… großer linker goldener Buddha?


Der rechte Begleiter. Die hochinteressante Geschichte zu dieser Gottheit/erleuchteten Wesenheit kenne ich auch nicht.

Außerhalb der Halle sitzt noch einer der 16 (oder waren es 12 oder 14?) Apostel von Buddha, dem große okkulte Kräfte nachgesagt werden. Angeblich reibt man eine Stelle an ihm, und danach den gleiche Fleck an sich selbst, und die Beschwerden am entsprechenden Körperteil verschwinden. Ich versuche mir gerade nicht vorzustellen wie das bei Potenzproblemen aussieht. Da mich gerade mein Rücken plagte, rubbelte ich seinen Rücken, zog mir einen Schiefer ein, biss die Zähne zusammen, rieb meinen Rücken, und glaubt es oder nicht, schlagartig waren die Schmerzen im Kreuz wie weggeblasen. Verdutzt und überglücklich ging ich drei Schritte und saugte am Finger, in dem jetzt ein Stück der Statue steckte. Diese Distanz war leider genau die Dauer meiner wundersamen Heilung, weshalb ich den Verdacht habe, dass die wohltuende Wirkung genau so lang anhält wie das Rubbeln.


Die medizinischen Kräfte dieser Statue gibt es tatsächlich, leider ist es zu unpraktisch, das Teil ständig mit sich herum zu tragen.

Danach streunerte ich noch an ein paar Tempeln vorbei. Da ich inzwischen ziemlich verwöhnt bin, war ich schnell gesättigt und begann den Aufstieg auf den Berg Kasagu-Irgendwas (ich bin heute nicht gut mit Namen).


Es war heiß, ich habe elendig geschwitzt, aber trotzdem eine tolle Wanderung.


Geschafft! Diesen Ausblick hat man vom Gipfel des Berges.

Bemerkenswert am Aufstieg war die freie Aussicht. Die meisten Berge in Japan sind dicht bewaldet, und zwar nicht mit dieser laschen westlichen ‚Ab und zu eine Lichtung mit Ausblick‘ Attitüde, sondern konsequent vom Start bis zum Ziel dichtes Blätterwerk. Die Temperatur war mit gut 20° perfekt, und ich marschierte beschwingt den Pfad entlang. Gute hundert Meter hinter mir wanderte eine japanische Großfamilie, die vergnügt Wanderlieder trällerte. Vom Knirps bis zur Oma, die ab der Hüfte um 90° nach vorne geklappt war, legten alle ein strammes Tempo vor, das meinen weit ausholenden Gaijin-Schritten ebenbürtig war. Von der guten Laune angesteckt brummte ich leise die Melodien der Familie mit. Das ist so ein Kreuz mit mir: Musik lässt bei längerer Einwirkung ein paar Sicherungen durchbrennen, und als letztendlich der Rhythmus im Blut kochte, schnappte ich mir zwei Stöcke und begleitete den Gesang mit meinem improvisierten Instrument. Nun, man ist als Gaijin eh ein unergründliches Mysterium, weshalb die Familie lachte und weitermachte.


Der unglaubliche Rowman und sein Sidekick, ‚Ich-könnte-im-Boden-versinken‘ Girl.

Auf dem Rückweg nahm ich noch einen kleinen See mit, und wurde mit einer lustigen Geschichte belohnt. Für romantisch veranlagte Naturen wurden Ruderboote verliehen, und ein junger Japaner wollte seiner Freundin wohl ein wenig imponieren. Leider hat er in seinem Leben noch kein Ruderboot gesehen, und stocherte verzweifelt mit den Rudern im Wasser. Der Bootsverleiher gab sein bestes, die richtige Technik (vor allem das Heben des Ruders aus dem Wasser) zu vermitteln, aber unser junger Held war lernresistent.


Der Bootsverleiher versucht es nun direkt am Boot, Rowman zu erklären, dass man das Ruder aus dem Wasser heben muss. Man beachte die Freundin, die sich vor Scham den Hut über den Kopf zieht.

Nach zehn Minuten gestand der junge Mann seine Niederlage ein, setzte sich auf die Rückbank, und ließ seine Freundin die Arbeit machen.


So beeindruckt man eine Frau…

Erheitert erkundete ich noch ein wenig den Park, und passierte auf dem Rückweg eine Konditorei, bei der Publikumswirksam die bekannteste japanische Süßigkeit hergestellt wurde. Es handelt sich dabei um Reis, den man zu einer elastischen Masse drischt, Diese wird mit einer Paste aus sehr süßen Bohnen gefüllt. Hier wurde es noch traditionell gemacht: Zwei Männer droschen mit riesigen Hämmern abwechselnd in den Trog, der die Masse enthielt, und brüllten dabei laut: „Hai!“ „Dozooo!“ „Hai!“ „Dozooo!“.


Zwei Männer bei der Herstellung der beliebtesten japanischen Süßigkeit. Filigranste Konfiserie!

Abends trieb mich der Hunger – leider ohne Fotoapparat – aus dem Hotel. Das japanische Essen wird fein, aber mild gewürzt, und ich hatte starkes Verlagen nach etwas Scharfem. Nara ist nach Einbruch der Nacht wie leer gefegt, aber an einer Ecke fand ich dann doch eine japanische Currybude. Japanisches Curry ist um einiges dunkler als Indisches, und wird mit einer Vielzahl an Beilagen angeboten. Natürlich darf nie der gekochte Reis fehlen. Eine Mahlzeit ist nur dann ein Essen, wenn der Reis, Gohan genannt dabei ist. Deswegen ist in den Wörtern für die Mahlzeiten stets dieses Wort enthalten. Ein Beispiel ist Hiru-gohan, das Wort für Mittagessen.
Das Menü in dem Restaurant las sich wie eine Anleitung zu einem Videospiel, denn die Schärfe des Currys konnte von Level 1-5 frei gewählt werden. Für Absolventen des Level 5 Currys wurden noch Level 6-10 angeboten. Diese werden jedoch nur serviert, wenn man ein Level 5 Curry gegessen hat. Im Vertrauen auf meinen feuerfesten Gaumen orderte ich ein Muschelcurry mit einem zusätzlichen Tonkatsu (eine Art paniertes Schnitzel), Level 5. Der Koch zog die Augenbraue hoch, wedelte mit den Händen, hechelte und sagte ‚Vely vely hot!‘. Ich nickte zackig und bat ihn, seines Amtes zu walten. Kurz darauf stand das dampfende, duftende Gericht mit der dunkelbraunen Soße vor mir. Ich schaufelte den ersten Löffel unbedarft in mich hinein – wenn ein Japaner scharf sagt, ist das an der indischen Küche gemessen mild – und keuchte kurz, als mir die Tränen in die Augen schossen. Das Zeug war würdige Level 5 Würze, und heizte ordentlich ein. Nun gewarnt aß ich bedächtig das exzellente Curry, während der Koch immer wieder in meine Richtung schielte, um Notfalls einen Arzt zu rufen. Am Ende hatte ich eine rote Birne, aber nun war meine Neugier geweckt.
Mit dem üblichen Tanz der tausend Hände vereinbarte ich mit dem Koch einen Probeteller, auf dem ein Klecks Curry von Level 6 bis Level 10 samt einer guten Portion Reis war. Bei Schärfe ist ein festes, neutrales Gericht zum Neutralisieren extrem wichtig. Mit einem Grinsen stellte der Koch den Teller mit den immer dunkler werdenden Portionen hin. Ich schob vorsichtig den Löffel in Level 6, nahm eine Portion Reis dazu, und kostete die Mischung. Im Kontrast empfand ich bereits Level 5 als harmlos, und die Schweissperlen quollen auf die Stirn, während das Rot in meinem Gesicht eine tiefere Schattierung annahm.
Level 7, inzwischen linsten auch die Bedienungen neugierig in meine Richtung, verteilte sich wie Lava in meinem Mund und sengte über meine Geschmacksknospen. Ich fühlte mich allmählich wie ein menschliches Fieberthermometer. Level 8 war bereits so scharf, dass ich die dreifache Menge Reis benötigte, und trotzdem eine Minute hechelte. Aufgegeben habe ich bei Level 9. Von Geschmack konnte man bei diesem flüssigen Feuer nicht mehr reden, ich erwartete jeden Moment, dass sich Brandblasen auf der Zunge bilden. Mein Gesicht war inzwischen tief dunkelrot, und ich musste erst ein großes Glas Milch trinken, bis ich überhaupt wieder ein Wort sagen konnte. Mit einem angenehmen Feuer im Bauch machte ich mich auf den Weg ins Bett, wo ich herrlich schlief. Jetzt sitze ich im Zug nach Tokyo – aufgrund der langen Strecke habe ich viel Zeit zum Schreiben, deswegen ist es heute auch wieder etwas textlastig. Von dort geht es zur letzten Station, die Stadt Nikko, die für ihren Nationalpark und die prächtigen Mausoleen berühmt ist.

Nächtliche Wanderungen und mein Tee mit dem Abt

Da ich gestern Nacht Bilder machen wollte, war die Organisation eines Stativs meine letzte Amtshandlung in Hiroshima. Ich trage inzwischen ständig ein Blatt Papier und einen Stift mit mir, da die Japaner hervorragend in Bilderrätseln sind. Ich zeichne zwar katastrophal, aber Kanjis sind im Endeffekt stark vereinfachte Piktogramme, und meine Zeichnung eines Stativs verstanden die Damen im Kaufhaus auf Anhieb. Leider gab es dort aber nur Kleidung, also wurde ich zwei Kilometer weiter zu einem Kamerageschäft geschickt.
Die Sonne leistete mir Gesellschaft, und dank der winzigen Schließfächer am Bahnhof wankte ich mit meinen 12 Kilo Gepäck insgesamt 4 Kilometer neben einer dicht befahrenen Straße und schnupperte den Duft der Abgase während ich im eigenen Saft gebraten wurde. Bis ich endlich im Zug nach Shin-Osaka saß, war es bereits 12. An sich war die zurückzulegende Strecke nicht groß, aber ab Osaka geht nur ein Bummelzug, der sich am Ende eingleisig die Berge hinauf quält. Bereits nach einer Stunde war ich der einzige Gast im Zug, und es dauerte insgesamt fast drei Stunden, um an die Talstation zu kommen. Von dort geht es mit einem speziellen Gebirgszug eine kurvige Strecke nach oben, die streckenweise über 70% Steigung hat. Ich war aber immer noch guter Dinge da im Reiseführer die hervorragende Tourist-Information von Koyasan gelobt wird. Oben angekommen fiel der Blick auf ein total verwaistes, winziges Bus-Terminal mit der Beschriftung ‚Bus drivers don’t speak english‘ und ein geschlossenes Tourist Information Büro, auf dem ‚We don’t make any more reservations.‘


Das flache Anfahrtstück der letzten Etappe nach Koyasan.

Da ich mir über mein Japanisch keine Illusionen mache und an diesem Flecken der Welt so gut wie niemand Englisch spricht, habe ich mich erst einmal entsprechend gefreut. Was macht man bitte, wenn man mitten im Nirgendwo ist, der letzte Zug in 15 Minuten fährt, und die Aussichten auf eine Unterkunft gelinde gesagt mau sind? Nun, ich bin ein sturer Bock und wenn ich Oku no in bei Nacht sehen will, wird das umgesetzt. Entsprechend belagerte ich das arme Bahnhofspersonal mit meinem Zettel und zeichnete und gestikulierte so lange herum, bis ein Angestellter eifrig mit seinem Finger auf eine Bushaltestelle deutete. Ein bisschen schlechtes Gewissen hatte ich schon – ich weiß,das ich für die armen Leute in meiner Hartnäckigkeit anstrengend war, aber ein Japaner würde es NIE wagen, mich zum Teufel zu schicken oder in den Zug zurück nach Osaka zu stopfen. Eher wippen sie 2 Stunden auf den Ballen und rufen immer mehr Kollegen hinzu.
Langer Rede kurzer Sinn: Es gibt ein zweites Tourist Information Büro, das geschickt neben der Feuerwache im Ortskern versteckt ist. Da es um 17:30 schließt und es bereits kurz nach Fünf war, sprinteten ich und der Bahnhofsbeamte hinter dem Bus her, der gerade losgefahren war und brachten ihn mit lautem Rufen und Winken zum stehen. Das ist übrigens noch ein tolles Phänomen in Japan. Während die Münchner MVV Angestellten ein diebisches Vergnügen haben, vor der Nase die Türen zu schließen und abzurauschen, warten japanische Bus- und Tramfahrer immer, bis alle wohlbehalten an Bord sind. Da wird keiner zurück gelassen. Dafür fuhr der Bus im Schritttempo winzige Serpentinenstraßen entlang, die der Phantasie viel Raum für schreckliche Absturz-Szenarien ließen. Um 17:29 stürmte ich verzweifelt das Büro und habe doch tatsächlich noch meine Übernachtung in einem buddhistischen Tempel bekommen.


Mein Zimmer im Tempel.

Die Mönche vor Ort waren so ausgesprochen freundlich, bescheiden und höflich, dass ich gar nicht wusste, wie ich sie etwas beruhigen konnte. Mein zugewiesener Mönch, der für das Zimmer zuständig war, sprach lustiger weise besser Deutsch als Englisch. Im Ausgleich für eine halbe Stunde Deutschunterricht übte er mit mir die wichtigsten Mantras für das Morgengebet, an dem ich heute Früh teilnehmen durfte. Das war wohl der Eisbrecher, denn danach rannten die Mönche nicht mehr mit gesenktem Kopf davon, wenn sie mich erblickten, sondern zeigten mir eifrig die Kleinigkeiten, die das tägliche Leben in einem solchen Kloster ausmachen.


Das buddhistische vegetarische Abendessen. Ein Mönch leistete mir Gesellschaft.

Vom Abendessen frisch gestärkt und mit dem Stativ in der Tasche marschierte ich los, um den größten buddhistischen Friedhof Japans bei Nacht zu erkunden. Koyasan selbst ist ein charmantes kleines Städtchen, das nur zwei Arten von Häusern kennt: Tempel und Souvenirshops. Um diese Uhrzeit ist kein Mensch mehr unterwegs, die Bordsteine hochgeklappt und so hatte ich alles für mich allein.


Einer der Tempel in Koyasan bei Nacht.

Auf dem Weg übte ich fleißig mit meinem Stativ, bis ich es mit militärischer Präzision in wenigen Sekunden auf- und abbauen konnte. Endlich wurde die Besiedlung dünner, und von mächtigen Bäumen flankiert wand sich ein steinerner, von Laternen gesäumter Weg. Leider sollte sich herausstellen, dass das Licht zwar sehr stimmungsvoll war, aber nicht zum Fotografieren ausreichte. Nur an wenigen Stellen, an denen man größere Lampen befestigt hatte, konnte man zumindest Schemen aufnehmen.


Ein kleiner Tempel, der kurz vor dem Eingang von Oku no in steht.

In Oku no in gibt es zwei Wege, von denen ich auf dem Hinweg natürlich den falschen wählte: Im Abstand von 20 Metern hat die lokale Verwaltung Straßenbeleuchtung installiert, wohl um die armen Touristen davor zu schützen, ihre Zehen im Dunkeln an einem Baum zu stoßen. Dementsprechend wollte sich der mystische Zauber dieses Ortes nicht so recht entfalten, da das kalte, helle Neonlicht nicht viel Raum für Phantasie ließ. Im Rahmen des Programms für ungünstiges Timing – in Hiroshima wäre ab Samstag z.B. ein Blumenfestival, das ich wie vieles hier knapp verpasse – war der Himmel zwar Wolkenlos, aber auch Neumond. Dabei hatte ich mir das schon so malerisch ausgedacht: Ein paar kleine Wolken am Himmel, der volle Mond, der die Landschaft in silbernes Licht taucht…


Den widerwärtigen Straßenleuchten zum Trotz gab es ein paar Winkel, in denen ein schön ausgeleuchtetes Motiv gab.

Die Nekropolis von Oku no in ist wirklich riesig. Sie umfasst über 500.000 Gräber, die teils chaotisch gestapelt wirken, manchmal aber auch prachtvolle Mausoleen waren. Solch weitläufige Anlagen haben einen ganz banalen Nachteil: Man muss erhebliche Strecken zurücklegen. Da ich im Tempel viel grünen Tee zumAbendessen getrunken hatte, und zusätzlich die tolle Idee hatte,mir vor dem Abmarsch noch eine große Flasche Wasser zu genehmigen, begann allmählich die Blase zu drücken. Eine halbe Stunde später nahm ich schon kaum mehr etwas von den riesigen Bäumen war, zwischen deren gewaltigen Stämmen die unzähligen Grabsteine standen, da aus dem leichten Druck ein ziehender Schmerz geworden war. Normal gibt es gerade für einen Mann nie Schwierigkeiten, sich Erleichterung zu verschaffen, aber auf einem heiligen Friedhof einen der geweihten Bäume zu wässern wollte ich unbedingt vermeiden. Die folgenden Kilometer wurden zu einer echten Qual. Wie es sich für einen kulturell wertvollen Friedhof gehört, gab es unzählige Brunnen und Wasserspiele. Ein kleiner Bach, dessen malerisches Rauschen ich sonst gepriesen hätte, erweiterte das sadistische Konzert aus Plätschern, Gurgeln und Tröpfeln. Man kann sich sicherlich vorstellen, wie sich eine solche Geräuschkulisse auswirkt, wenn die Blase auf Melonengröße angeschwollen ist.


Oku no in bei Nacht. An dieser Stelle hätte ich meinen Fotoapparat sofort gegen ein Klo getauscht.

Was fehlt noch zum Geräusch von laufendem Wasser? Richtig, eine laue Brise, die einen streicht und die Blätter zum Rascheln bringt. Die Bäume faszinierten mich nicht mehr wegen ihrer Höhe oder ihrem Alter, sondern lockten mich, doch endlich der Qual ein Ende zu bereiten. Wille über Materie, Wille über Materie, Wille über Materie… mit diesem Mantra schleppte ich mich Schritt für Schritt an den sirenenhaften Baumstämmen vorbei. Doch da: Wie in einem Glorienschein, eine Offenbarung von allem, das in dieser Welt gut ist, entdeckte ich das Schild am Wegesrand: Toilet. Mit einem markerschütternden Triumpfgeheul stürmte ich an einem konsternierten älteren Japaner vorbei, der gerade den Ort meiner Begierde verlassen hatte, und fand in den folgenden fünf Minuten eine glückliche Leere, für die ein Buddhist jahrelang meditieren muss.

Der Weg zum Mausoleum des kosmischen Buddha. Ich war meinem persönlichen Nirvana schon sehr nahe.

Wie sich zeigen sollte, markierte dieses stille Örtchen den Wendepunkt meiner Wanderung: ein kurzes Stück weiter begann der schmale Pfad zum Mausoleum des kosmischen Buddhas, völlig ohne Leuchtstoffröhren. Im dämmrigen Licht der Laternen, die den Weg säumten (aus einem mir nicht nachvollziehbaren Grund leider unfotografierbar) wand sich der Weg zwischen den mächtigen Stämmen der Pinien den Berg hinauf. Merkwürdige Tierrufe, Pfiffe und schnattern verliehen der Nacht einen friedlichen Gesang. Auch der Rückweg war komplett ohne diese abscheulicheBeleuchtung, und ich konnte so richtig in diese geheimnisvolle Welt abtauchen.


Eine Grabstätte bei Nacht.

Heute Morgen hieß es dann um 5:30 aufstehen, da ich an der Morgenzeremonie um 6 teilnehmen wollte. Als Gast durfte man auf kleinen Hockern sitzen, was man sehr zu schätzen weiß, wenn man in Japan mal zwei Stunden am Boden kauern musste. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt, denn die Zeremonie war ein tolles Erlebnis. Die Mönche saßen im Kreis und brummten ihre Mantras, während ein Zeremonienmeister fachkundig ein Feuer entfachte und immer wieder mit einer kleinen Kelle neue Kräuter in die Flammen warf. Die Hitze, der Duft der Kräuter und der sonore Gesang der Mönche vermischten sich, und der ganze Stress, alle Gedanken, Unsicherheiten und Sorgen lösten sich darin auf. Abgeschlossen wurde die Zeremonie mit einem Teeopfer, bei dem die Gäste der Reihe nach eine Tasse Tee für den Buddha aufstellen durften. Im Anschluss lud der Abt ein paar der Gäste, darunter mich, zum Tee ein. Wir wurden in ein winziges Teehaus mit Blick auf den Garten geführt, und schlürften mit dem geistigen Führer des Klosters köstlichen Tee, zu dem uns Süßigkeiten gereicht wurden. Der alte Mann erwies sich als lebenslustige Person mit einer guten Portion Humor, und er befragte jeden nach seiner Reise, seinen Zielen, und erteilte gute Ratschläge,während er eine uralte Katze auf seine Schoss hatte, die alle Mönche mit ausgesuchter Zuneigung behandelten. Ein Mönch, der exzellent Deutsch, Englisch und Französisch sprach, sorgte für eine reibungslose Unterhaltung, und es wurde viel gelacht und gescherzt. Schweren Herzens verabschiedete ich mich schließlich von den Mönchen, und reise als nächstes nach Nara, um dort das größte Holzgebäude der Welt zu bestaunen.

Noch ein paar Jinzo Statuen.

Eine der drei heiligen Landschaften Japans – Miyajima

Es ist kurz nach Mitternacht, und ich vertreibe mir das Warten auf den Trockner mit dem Sichten der heutigen Fotos. Die Münzwaschmaschinen hier wurden wohl einzig und allein zu dem Zweck geschaffen, Gaijin zu ärgern. Egal was ich versuche, ich bekomme bestenfalls den Schweiss- und Zigarettengeruch raus, den man hier schnell in den Klamotten hat. Bereits bei einfachsten Flecken kapitulieren diese rumpelnden Höllenmaschinen, und ich kann zwei Hemden und ein T-Shirt inzwischen nicht mehr tragen. Die Trockner sorgen dann dafür, dass die hartnäckigen Kleckse in das Gewebe eingebrannt werden, denn mit japanischer Gründlichkeit wird der Stoff bei geschätzten 1200° Celsius geröstet. Immerhin, so sieht man mal Brandflecken nach einem Trockengang. Davon abgesehen wallt gerade die Schreiblust in meinen Adern. Wenn einen die Muse küsst, sollte man nicht auf die Uhr schauen. Da werden Frauen schnell unangenehm.


Der Blick auf die Insel Miyajima von der Fähre aus. Das Wahrzeichen, ein 16 Meter hohes Tori-Gate ist schön zu sehen, und wie ich später herausfinden sollte, war gerade Flut.

Nach der schwereren Kost gestern brauchte die Seele etwas Balsam, und so suchten wir die Insel Miyajima auf. Die Insel ist eine der drei berühmten Küstenlandschaften Japans, und spätestens, wenn sich die subtropisch bewaldeten Hügel vor einem erheben, weiß man, wieso die Japaner alle zu diesem Ort pilgern. Direkt nach der Landung konnte man nicht umhin, die große Warntafel zu bemerken, auf der vor den Rehen gewarnt wird. Ja, ihr habt richtig gelesen, der Küstenstreifen und die unteren Regionen inklusive der besiedelten Gebiete sind von einer ausgesprochen gelassenen Population von Rehen besiedelt. Diese wirken in der fast schon karibischen Umgebung dieser Insel etwas fehl am Platz, fühlen sich aber pudelwohl.


Die heimlichen Herrscher von Miyajima.

Die Tiere sind von den Menschen komplett ungerührt, und dank dem strikten Fütterungsverbot (an das sich die Japaner wie an alle anderen Regeln halten) sind das auch keine aufgedunsenen Kugeln wie die Exemplare in unseren Wildparks. Sie sonnen sich auf den Straßen, am Strand, und wenn ein Tourist nicht aufpasst, fressen sie seine Reisekarte. Sie haben auch einen erzieherischen Charakter, da sie kräftig zubeißen, wenn ein paar gehirnamputierte Eltern zulassen, dass ihre kleinen Monster an den Ohren der Tiere reißen.


Einer der Löwen, welche die Uferpromande bewachen. Die Rehe fühlen sich bei ihm sichtlich wohl.

Über sein Tempo musste man sich gegen Mittag keine Sorgen machen, da die Besucherströme so dicht sind, dass man automatisch zu den wichtigsten Fotografierpunkten gespült wird.


Das Standardfoto vom Tempel aus. Durch die Reflektion auf dem Wasser wirkt es, als ob das Tor schwebt.

Apropos Fotografieren: Wenn die Japaner schon keine Ironie verstehen, das Land tut es. Man hat wirklich atemberaubende Anblicke, aber egal zu welcher Tageszeit oder bei welchem Wetter, es ist immer leicht dunstig, weshalb man statt fantastischer Panoramas vernebelte Aufnahmen bekommt.


Ja, die Linse ist geputzt. Dabei wären die bewaldeten Berge eine Aussicht wie aus dem Katalog.

Da man ständig Leute vor der Kamera hat, bekommt man viele Eindrücke von den Japanern. Über das allgemeine Modebewusstsein habe ich schon geschrieben. Gut, die Designer haben es insofern einfach, weil die Frauen alle nahezu gleich groß und gleich schlank sind. Dicke Japaner sind extrem selten. Ebenfalls gefällig ist die Tatsache, dass hier nicht jede zweite Frau mit tief geschnittener Jeans herumläuft, über deren breitem Hüftgürtel der Bauch herausquillt, während beim Hocken der halbe Hintern auf Zugluft steht. Nein liebe Damen, das wird auch in hundert Jahren nicht gut aussehen. Fahrt mal nach Tokio und schaut euch an, wie man sich schick anzieht. Wer denkt ich bin hier unnötig gehässig, die zwei westlichen Touristinnen die ich gesehen habe, vergaßen beim Zeigen von viel Haut, dass die nicht einer Mondlandschaft gleichen sollte…

 
 

Die Pagode, die ich nicht gefunden habe. Näher bin ich nicht gekommen, wahrscheinlich haben die das immer abgebaut und versteckt um mich zu ärgern.

Nach den Pflichtfotos am Strand und einem kurzen Mittagessen zu Touristenpreisen ging es zur Seilbahn. Für einen verhältnismäßig saftigen Obulus ging es schwankend den Berg hinauf. Eine sympathische Dame pries die Schönheit der Berge (bei der üblichen Sichtweite von ca. 200 Metern, gepriesen seiest Du oh klare Luft unserer Alpen), den kulturellen Wert der Tempel auf dem Gipfel, und die Sicherheit der Schließfächer auf der Bergstation wegen der Affen. Eh Moment mal… Ich spulte innerlich zurück, aber ich hatte schon richtig verstanden: Während die niederen Regionen der Insel unter den eisernen Hufen des Dammwilds liegen, werden die Berghänge von Affen beherrscht, die nach ein paar Generationen Touristen gelernt haben, dass diese großen haarlosen Idioten leckere, ungesicherte Nahrung mit sich führen. Deswegen haben sich die Affen darauf spezialisiert, unachtsamen Touristen ihre Rucksäcke und Taschen zu entreißen, um diese anschließend nach Essbarem zu durchforsten.


Die Kamera habe ich sicherheitshalber am Gürtel festgebunden, aber die Beiden waren gerade mit Lausen beschäftigt.

Der Berg, Misen-Yama, ist die Fahrt wirklich wert. In der Gipfelregion befindet sich eine malerische Tempelanlage, die sich um den Schrein des ewigen Feuers verteilt. In diesem Gebäude befindet sich ein eiserner Kessel, unter dem ein Feuer aus dicken Holzscheiten schwelt. Direkt nach dem Eintreten beißt bereits der Rauch in den Lungen, der vom herben Geruch von Räucherwerk durchzogen ist. Es ist bis auf die niedrigen Flammen und einige Kerzen dunkel, und die Hitze drückt einen förmlich zu Boden. An der Wand steht eine mit Blattgold umloderte Statue, die den Heiligen darstellt, der angeblich vor 1200 Jahren dieses Feuer entzündet hat. Laut den Mönchen und dem Reiseführer brennt das seit der ganzen Zeit, ohne auch nur ein einziges Mal ausgegangen zu sein. Die Flamme, die gasgespeist im Peace Memorial Park Tag und Nacht flackert, wurde mit Feuer von dieser Stelle entfacht.


Der Tempel der ewigen Flamme. Die sollten dort Räucherschinken herstellen.

Da sowohl Max und Andi inzwischen nervös auf ihre Uhren linsten – beide wollen heute nach Tokio zurück, ging es in immer schnellerem Marsch Richtung Abstieg. Als ich am dritten schönen Aussichtspunkt vorbeigeschnauft war, stoppte ich die Karawane, übergab den Beiden meinen Zimmerschlüssel, und setzte den Weg mit einem Drittel der vorherigen Geschwindigkeit fort. Ich bin im Alltag ein etwas hektischer Mensch, und der größte Luxus, den ich mir gönnen kann, ist Ruhe. Und auch wenn ich gesellig bin, ein paar Stunden völlig allein durch die Gegend zu stapfen ist für mich ein wahrer Genuss.


Stehen bleiben, tief durch schnaufen, Blick in die Ferne und das leichte Jucken unter dem Skalp fühlen, wenn der Kopf langsam leer wird.

So schlurfte ich im Schneckentempo den Berg hinunter. Tapfere Japaner quälten sich schwitzend den Berg hinauf, und ich begrüßte alle mit einer Verbeugung und einem heiteren ‚Konitchiwa!‘. Die Wanderer waren von dem steilen Weg so fertig, dass sie sich gar nicht mehr Verbeugen mussten, da die Nasen bereits am Boden klebten. Mit einem anfeuernden ‚Ganbatte!‘ scheuchte ich sie weiter, und nach ein paar Minuten verhallte das Schnaufen dieser gequälten Seelen. Nach einer guten halben Stunde war mein hyperaktives Hirn endlich heruntergefahren. Ein Schritt, ein Atemzug. Stehenbleiben, lauschen. An sich ist ein Spaziergang in einem halbwegs dichten Wald nichts spektakuläres, denn unter dem Blätterdach gibt es nicht viel Vegetation.


Auf einem Felsen sitzen und nichts tun. Es gibt kaum was schöneres.

Überhaupt, das Wort Sightseeing sagt es bereits: Selbst wenn man keinen Badeurlaub macht, man trabt seine Zielpunkte ab und die Dokumentationswütigen haben vom ständigen Halten der Kamera nach zwei Wochen einen Tennisarm. Und vor allem: Man benutzt doch meistens nur die Augen. Ich hatte ja schon erwähnt, in einem Wald gibt es nicht viel zu sehen, aber dafür wird den anderen Sinnen sehr viel geboten. Das ging mir so durch den Kopf, und ich setzte mich auf den oben abgebildeten Felsen. Probehalber schloss ich die Augen, und konzentrierte mich voll auf die Ohren. Zuerst musste ein bisschen Sortiert werden, dann konnte ich mich Einzelheiten widmen. Das Rauschen der leichten Brise im dichten Blätterdach. Links ein enthusiastischer Singvogel, etwas weiter entfernt und hinter mir das leise Schnattern von Affen. Ein gutes Stück vorne das Plätschern eines Baches. Der Vogel hat inzwischen Konkurrenz bekommen, und es beginnt ein buntes Durcheinander von verschiedenstem Piepsen, Pfeifen und Trillern. Mit ein bisschen Phantasie konnte man sich die Tiere vorstellen und sie so sehen, obwohl ich sie bestimmt nie im Leben mit meinen Augen entdeckt hätte.


So ein Fels bietet eine ganze Menge, wenn man sich die Zeit nimmt.

Dann noch die Nase dazu: Der Geruch der laubbedeckten Erde, die leicht salzige Luft, das süßliche Aroma der kleinen Blüten, die sich hartnäckig unter einem Baum bewiesen und das feuchte Moos auf dem Felsen. Die Hände tasten sich über den Boden, trockenes Laub, das zwischen den Fingern krümelt, der warme, raue Fels, die knorrigen Wurzeln eines Baumes – und dann muss man die Augen öffnen. Wie in Trance erhob ich mich langsam, und schlenderte weiter. Wo ich den Wald vorher nur gesehen hatte, erlebte ich ihn jetzt. Da es langsam Abend wurde, konnte ich den Spaziergang fast eine Stunde lang in diesem vollendeten Zustand genießen, bis hinter mir ein rüstiger Engländer aufholte, dessen lautes ‚Hello!‘ den Zauber der Ruhe zerstörte. Ich murmelte ein ‚Hello‘ zurück und hoffte, dass der Zausel schnell hinter der Ecke verschwinden würde, aber mein langsames Gehen faszinierte ihn offenbar, und er fragte mich, ob mit mir alles in Ordnung sei. Im Nachhinein gesehen glaube ich, dass mein lapidares ‚Oh yes, I was just trying to enjoy my walk‘ ein wenig unhöflich war, aber wohl nicht zu sehr, da er hartnäckig im 3 Meter Abstand vor mir blieb und begeistert von der Ruhe und Abgeschiedenheit schwärmte.


Suchbild: Was fehlt? Kleiner Hinweis: Ich hatte völlig verschwitzt, dass es so etwas wie Ebbe und Flut gibt.

Insofern war ich auch nicht wirklich traurig, als der Wald sich lichtete und ich wieder am Strand gelandet war. Ich brauchte in meiner neu entdeckten meditativen Langsamkeit ungefähr eine Viertelstunde, bis ich ergründet hatte, was die ganze Zeit an mir nagte: Während der Bergwanderung hatte sich die Ebbe ganze Mühe gegeben und eine Menge Land freigegeben. Wo vorher um das große Tor ständig ein Fischerboot voller Touristen wie ein Haifisch im Kinderbecken kreiste, standen Leute im frischen Schlick und nutzten die Gelegenheit, ein paar Fotos aus der Nähe zu bekommen.


Danke liebe Gezeiten für dieses schöne kitschige Foto!

Mit meinen dicken Stiefeln konnte ich herrlich über die glitschigen Dünen stapfen, wo die zarten Halbschuhe der Japaner nicht die beste Geländetauglichkeit boten. Anschließend setzte ich mich neben ein freundliches Reh, das mir prompt die Tram-Karte aus der Jackentasche fraß, und durfte im Ausgleich den Sonnenuntergang anschauen.


Hier war der Wasserpegel weit genug unten, dass die Japaner endlich ihr ‚Ich stehe direkt dran‘ Foto machen konnten.


Ein letzter Blick von der Fähre.

Ein Tag zum Nachdenken – Hiroshima

Unser geschichtliches Interesse trieb uns gestern nach Hiroshima, dem Ort, an welchem am 06.08.1945 die erste Atomwaffe der Welt eingesetzt wurde. Die Stadtverwaltung ist nach wie vor sehr bemüht, das Thema lebendig zu halten, aber gerade bei der jungen Bevölkerung merkt man schon, dass die Erinnerung langsam aber sicher verblasst. Unser Weg führte uns als erstes zum Peace Memorial Park, der den Opfern von ‚Little Boy‘ gewidmet ist.


Der Peace Memorial Park. Rechts sieht man das Gebäude des Friedensmuseums.

In diesem Park befindet sich auch das Friedensmuseum von Hiroshima, das man für einen symbolischen Betrag von 50 Yen (ca. 30 cent) betreten darf. Den Besuchern wird ein sehr umfangreicher Audio-Führer angeboten, der insgesamt 56 Textpassagen zu den Ausstellungsstücken vorträgt. Wenn man das Gebäude betritt, steckt man sofort in einem Pulk von Besuchern, die zur Hälfte Japaner und zur anderen Hälfte Gaijin sind. Ich fand es ein wenig Schade, dass sich die Horden von Besuchern zielstrebig durch das Museum pressen, wobei alle nach dem nächsten Audio-Guide Schild suchen. Ein Ort, an dem man sich verständigen und austauschen kann, würde dem ganzen meiner Meinung nach gut tun. Wenn man wirklich Frieden will, dann sollte man doch an allererster Stelle den Dialog suchen.


Hiroshima vor dem Abwurf der Bombe.


Und danach. Das ganze hat ein paar Sekunden gedauert. Was ich nicht wusste – die charakteristische Wolke (der Atompilz) bleibt für ca. 20 Minuten in der Luft stehen.

Die Ausstellung ist in zwei Abschnitte unterteilt – im ersten wird die Vorgeschichte der Stadt als Militärstützpunkt erklärt, die Entwicklung und Funktionsweise der Atombombe dokumentiert und aufgezeigt, wieso a) Japan und b) Hiroshima dran glauben mussten. Man kann sicherlich darüber streiten, wie man das alles bewerten will, aber als ich die Memos der amerikanischen Führung gelesen habe, hat mich schon die Wut gepackt. Da wird ganz offen darüber diskutiert, wie man die Japaner noch lange genug im Krieg halten kann, um die Waffe einzusetzen und damit die 2 Milliarden Dollar Entwicklungskosten (damals ein Haufen Geld) zu rechtfertigen. Am schlimmsten war der Absatz mit ‚of course we need a fair background to show the full power of the weapon, a general stated. We all laughed. Afterwards it was decided to exclude the potential target cities from conventional bombing‘. So etwas auch noch in einem Protokoll festzuhalten!


Eine maßstabsgetreue Nachbildung von Little Boy. Die Bombe ist erschreckend klein, wenn man das Ausmaß der Zerstörung bedenkt.

Im Anschluss an die Vorgeschichte konnte man eine sehr umfangreiche Ausstellung von Gegenständen begehen, die nach dem Einschlag der Bombe konserviert wurden. Zerfetzte Kleidung, geschmolzene Ziegel, und zu fast jedem Exponat erzählte die Frauenstimme des Audio-Guides die Geschichte der Person, zu der dieser Gegenstand gehört hatte. Für die maximale Wirkung – und das fand ich ein wenig manipulativ – wurden nur die Schicksale von zivilen Opfern, meistens Kinder zwischen 7 und 12 Jahren geschildert. Wenn man vor einer halb geschmolzenen Brotzeitdose steht, deren Inhalt von der thermischen Strahlung der Bombe zu pechschwarzer Kohle verglüht wurde, und dazu hört, wie sich der 9 Jahre alte Junge laut seiner Mutter auf das liebevoll zubereitete Mittagessen gefreut hatte, bekommt man unweigerlich einen Knoten im Hals. Als ich nach 5 solcher Geschichten vor der winzigen Uniform einer 7 Jährigen Schülerin stand, die von der Strahlung wie schweizer Käse durchlöchert war, musste ich das Gerät kurz abschalten und tief Luft holen, um die Fassung zu wahren. Natürlich ist klar, das es nicht nur Kinder erwischt hat. Aber die Wirkung ist da am stärksten, und wenn man jetzt einmal gute Absichten unterstellt, dann rüttelt man die Menschen so am besten auf.


Das zentrale Mahnmal. In dem Sarkophag unter dem Bogen werden die Namen aller Opfer von Hiroshima gesammelt. Wann immer ein Überlebender stirbt, wird er der Liste hinzugefügt.

Als ich schweigsam aus den düsteren Räumen schlich und die schrecklichen Bilder mühsam verdaute, wurde mir klar, wie sehr das Thema Atomwaffen aus den Medien verschwunden ist. Ich weiß noch, wie oft gegen nukleare Aufrüstung demonstriert wurde, als ich ein Kind war. Aber seit dem Ende des kalten Krieges ist das Thema immer mehr in Vergessenheit geraten. Klar, die USA pochen zwischendurch darauf herum, dass der Iran keine Atomwaffen haben sollte, aber wer spricht noch davon, die atomaren Arsenale von USA, England, Frankreich, Russland, Indien, Pakistan und allen anderen, die diese Waffen besitzen, endlich zu verschrotten? Klar, alles olle Kamellen, aber ich rate jedem, der jetzt mit der Stirn runzelt, hier nach Hiroshima zu fahren und sich die Interviews mit den Opfern anzuhören.


Das Childrens Memorial. Es wurde auf ein landesweites Begehren der japanischen Grundschüler errichtet.

Eines der bekanntesten Schicksale ist wohl das der kleinen Sadako. Das Mädchen war 2 Jahre alt, als es der Strahlung der Atombombe ausgesetzt war. Erstaunlicherweise zeigten sich zuerst überhaupt keine Schäden, was meiner Meinung nach das ganze nur grausamer macht. Denn mit 11 Jahren, sie war ein sportliches, starkes Kind, wurde ihr bei einem Wettbewerb schwindlig und sie fiel in Ohnmacht. Im Krankenhaus wurde Leukämie diagnostiziert, und sie starb innerhalb von 8 Monaten. Da sie im Krankenhaus davon gehört hatte, dass ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn man 1000 Papierkraniche faltet, machte sie sich ans Werk. Innerhalb von einem Monat hatte sie die 1000 Stück fertig, und hörte bis zum letzten Atemzug nicht auf, diese winzigen Vögel zu falten. Alle Zeitzeugen sind von dem Lebenswillen dieses Mädchens schwer beeindruckt, und diese Geschichte ging nach dem Tod von Sadako durch die japanischen Medien. Der Papierkranich gilt seitdem als Zeichen dieses Mutes, und sowohl japanische Kinder wie auch andere Kinder auf der ganzen Welt falten fleißig Papierkraniche als Ausdruck des Wunsches nach Frieden und im Gedenken an die Kinder, die in Hiroshima gestorben sind.


Ketten aus Papierkranichen an einem Monument in Hiroshima.

Anscheinend hat in Japan Pyromanie Tradition, denn ein japanischer Student hat 1996 alle Kraniche am Childrens Memorial verbrannt, angeblich aus Protest gegen die schlechten Berufsaussichten japanischer Akademiker. Ob der mal eine Sekunde darüber nachgedacht hat, wieviel Mühe es gemacht hat, das alles zu falten?


Das Gebäude der Präfekturverwaltung von Hiroshima. Das Gebäude wird seit dem 06.08.1945 in dem Zustand nach der Explosion erhalten.

Zum Abschluss des heute wohl etwas nachdenklicheren Eintrags gibt es noch eine kleine Geschichte. Während der Besatzung durch die Allierten, die ca. 6 Jahre anhielt, gab es eine sehr scharfe Zensur zum Thema Atombombe. Den Japanern, allen voran den Opfern aus Hiroshima war es strengstens untersagt, die Auswirkungen der Bombe (z.b. Strahlenschäden bei Menschen) zu untersuchen oder zu veröffentlichen. Sogar das Wort Atombombe selbst war strikt untersagt. Die Bürger Hiroshimas überlegten also eine Weile, und beschrifteten das Mahnmal zum Gedenken an die Schüler und Schülerinnen mit der bekannten Formel für Masse/Energierelation (e=mc²). Die unglaubliche zerstörerische Kraft einer Atombombe basiert nämlich auf exakt diesem Prinzip.


Wenn man nicht ‚Atombombe‘ schreiben darf, dann eben anders.

Himeji

Nach den Ausschweifungen der letzten Tage mussten die Pfunde wieder runter, und so ging es heute nach Himeji. In dieser Ortschaft befindet sich die Burg des weißen Reihers, die bekannteste ihrer Art in Japan. Dies liegt vor allem daran, dass dieses Gebäude als einziges über die Jahrhunderte nicht niedergebrannt, zerbombt oder von einem Erdbeben zerlegt wurde. Als Japan 1992 die Vereinbarung zu Unesco Welterbe Abkommen unterzeichnete, wurde Himeji Castle 1993 als erstes Gebäude Japans ins kulturelle Welterbe aufgenommen.


Die Burg des weißen Reihers, musste noch nie neu aufgebaut werden, was in Japan höchsten Seltenheitswert hat.

Das allererste Fort wurde 1333 errichtet, und – ich habe brav die Broschüre gelesen – der heute sichtbare Bau wurde 1618 fertig gestellt. Man kann es übrigens nicht verfehlen, da die Stadt an jeder der 9 Straßenkreuzungen Personal aufgestellt hat, das einen freundlich auf die Burg hinweist, die schon vom Bahnhof aus am Horizont zu sehen ist.


Und weils so schön ist, noch ein Bild.

In Japan gibt es jede Menge solcher Herumsteher-Jobs. Die Arbeitslosigkeit wird damit niedrig gehalten, dass Millionen von Japanern in mehr oder weniger lächerlichen Uniformen auf der Straße stehen und ein Schild festhalten. Auch häufig sind Parkhaus-Einweiser, die mit Lichtschwert-ähnlichen Stäben Autos in Parkhäuser lotsen. Die Besten gibt es in Shibuya in Tokio, da sie schon beinahe bühnenreife Gespräche führen, während sie auf das nächste Auto warten.


Und ein letztes Bild, dieses Mal mit Bäumen.

Eine große Geißel in Japan ist Feuer. Da die meisten traditionellen Gebäude, Paläste und Tempel zum Großteil aus Holz bestehen, genügt ein Funke, um ein jahrhunderte altes Erbe in Flammen aufgehen zu lassen. Viele Schreine sind über 1000 Jahre alt, und haben in einer Ecke ein kleines verschämtes Schild, dass der Original-Schrein vor 800, 450 und 327 Jahren abgefackelt ist, und das aktuelle Gebäude 1923 mit traditionellem Werkzeug wieder aufgebaut wurde. Beim Schloss des weißen Reihers gab es ebenfalls eine riesige Bronzetafel, auf welcher der sagenhafte Außenpalast gerühmt wurde. Man sah schon förmlich die prachtvollen Bauten, bis man zum vorletzten Satz kam, der lapidar verkündete, dass alles vor 100 Jahren einem Brand zum Opfer fiel. Anschließend hieß es "Schuhe aus!", und wir durften die westlichen Unterkünfte der Burg betreten.


In diesem Gang liegen die Frauenquartiere, die mit einer massiven Tür abgeriegelt und streng bewacht wurden.

Dort schlurft man auf seinen Socken über das weiche, über Jahrhunderte von ungezählten Füßen geschliffene Holz. Die Gänge sind für einen solchen Bau verhältnismäßig hell, und es riecht herrlich nach uralten Balken. Davon gibt es sehr viele, da der Hauptbau über 5000 Tonnen wiegt, die über ein ausgefeiltes Gerüst so verteilt werden, dass die Festung selbst Erdbeben stand hält. Überhaupt ist die Architektur hoch interessant, da die Mauern einerseits das Gewicht der Burg ausbalancieren, andererseits aber extrem tückisch zu besteigen sind, da die Mauern zur Spitze hin nach außen geneigt sind.


Der Weg zum Vanity Tower.

Einer der Fürsten, die über diese Festung herrschten, hat eine hochrangige Prinzessin vom Kaiserhof geheiratet. Da das Gebäude eigentlich eine übergroße Waffenkammer mit Verteidigungsanlagen war, wurde ein Turm mit Gemächern eingerichet, die einer edlen Dame angemessen waren. Die Prinzessin, die eine leidenschaftliche Raucherin war (kein Wunder, dass denen ständig ihre kulturellen Schätze abbrennen), ließ es sich hier gut gehen und führte angeblich ein ausgesprochen glückliches Leben.


Die Gemächer der Prinzessin samt aufgestellten Puppen, um dem Besucher ein anschaulicheres Bild zu geben.

Im Gegensatz zu den meisten Tempeln, Palästen und Museen ist das Fotografieren in Himeji uneingeschränkt erlaubt. Leider neigen Japaner dazu, ihre berühmten Sehenswürdigkeiten in wahren Menschenmassen heimzusuchen. Deshalb ist es sehr schwierig, ein Foto ohne Touristen zu bekommen.


Bis hier niemand mehr entlang kam, musste ich 20 Minuten warten. Bitte das Bild angemessen würdigen.

Die zentrale Festung konnte man über alle 6 Stockwerke besichtigen. Eindrucksvoll waren die zahllosen Halterungen für Waffen. Diese Burg war wirklich schwer befestigt und strotzte geradezu vor Material. In den oberen Stockwerken sind geschickt versteckte winzige Kammern, die von Innen mit einer Holzklappe verschlossen werden konnten, und den Kriegern für Hinterhalte dienten.


Alle Wände wurden als Waffenlager verwendet. Im obersten Stockwerk befindet sich ein Shinto-Schrein, der einem tapferen Schwertkämpfer gewidmet ist, der angeblich einen bösen Geist aus der Burg vertrieben hat.

Nach der Burg ging es noch in die Stadtgärten, die wie immer zum ausgedehnten Wandern einluden. Dieser Garten beherbergt einen der schönsten und größten Teiche mit Koi-Karpfen in Japan.


Leider sehr schwer zu fotografieren: Kois.

Wir trugen auch zur Unterhaltung der Japaner bei, als wir auf ein interessantes Motiv kamen: Normal lassen sich alle Touristen auf der Hauptbrücke ablichten. Es gibt dort aber einen Baum, der die perfekte Höhe hat, um einen Kopflos zu machen.


Max musste über 10 Minuten in dieser Pose verharren, bis alle Japaner ihr Bild hatten.

Die digitale Kamera ist eine sehr praktische Erfindung, da dieser Garten voller "SUGOI!" Stellen war. Hier noch ein paar Bilder:


Der winzige Bonsai links von meinem Kopf ist 30 Jahre alt. Laut der Gärtnerin hat er sogar im Januar Geburtstag.


Die Auswahl fiel sehr schwer, da es dutzender solcher Stellen im Garten gibt.


Und nochmal Grünes mit Wasser. Ich kann da einfach nicht genug von kriegen.

Morgen geht es dann zur letzten gemeinsamen Station: Wir werden nach Hiroshima reisen und uns die Museen zur Atombombe ansehen. Bei allem Vergnügen ist das ein schlimmes Kapitel aus der Geschichte, das man ebenso mitnehmen sollte wie die zauberhaften Gärten und besinnlichen Tempel.

Ich und mein Kobe-Steak

Für meine Japan Reise habe ich mir nicht viel vorgenommen, aber in Kobe eines der sagenumwobenen Steaks zu verdrücken, war eines der wichtigsten Ziele. Doch ebenso, wie sich meine Vorfreude im Lauf meiner Reise immer mehr aufgebaut hat, will ich auch beim Berichten erst einmal Klein anfangen. Nach einer herrlichen Nacht im Lamp no yade (Im heißen Wasser den Kopf in den Nacken zu legen und da nur Sterne zu sehen hat was) stellten wir uns am Morgen einem traditionell japanischen Frühstück. Als politisch korrekte Touristen wollten wir landestypisch den Tag beginnen, doch so sehr ich mich bemühe, an allem etwas tolles zu finden, ein Jünger des japanischen Frühstücks werde ich nicht. Selbst die schönste Präsentation – optisch war das Essen wie immer eine Meisterleistung – macht aus den Zutaten nichts anderes. Und roher Fisch, ein halbrohes, in Sojabrei schwimmendes Ei, diverse kleine Tintenfische samt Tentakeln, Reis trockenen Algen und ein paar Töpfchen mit undefinierbarem Schleim kommen am Abend noch einigermaßen erfreulich daher, aber für meinen empfindlichen Morgen-Magen war das eine harte Herausforderung. Irgendwann zwischen dem halbrohen Ei und ein paar Tentakeln machte mein Bauch ein paar unruhige Sprünge, und ich nahm die seelischen Qualen eines nicht leergegessenen Tellers in Kauf, da Rückwärtsessen bei Tisch noch schlechter gewesen wäre.


Diese gefalteten Papiertiere leisteten uns am Bahnhof von Anizuma Gesellschaft.

Anschließend brachte uns das ältere Ehepaar zum nächsten Bahnhof. Ein Gastgeschenk unsererseits lehnten sie strikt ab, und wir mussten ziemlich kämpfen, um nicht auch noch ihren Regenschirm als Geschenk zu bekommen. Wir waren im Onsen bereits eine halbe Sensation, da dieses Hotel ein sehr exklusiver Rückzugsort für besserverdienende Japaner ist, und wir abgekämpft mit unseren Rucksäcken dort eingetroffen waren. Die selbe Reaktion riefen wir dann in Kobe hervor, als wir frohgemut gegen 18:00 mit unserem schweren Gepäck im Kreuz in die Lobby des Kobe Crown Plaza Hotels einrückten.


Die Lobby des Kobe Crown Plaza. Da ein Dreibettzimmer kaum teurer als eine Jugendherberge ist, fiel uns die Wahl nicht schwer.

Zwischen den in feine Anzüge gepackten Geschäftsleuten wirkten wir in der riesigen Empfangshalle ziemlich fehl am Platze. Mit typisch japanischem Understatement wurden wir zu unserem Zimmer im 29sten Stock gebracht, wobei sich der Angestellte noch mehrfach dafür entschuldigte, dass unsere Unterkunft so bescheiden sei. Klar, gute 30 m², ein komplettes Unterhaltungsset aus Fernseher, Computer und Spielekonsole, Minibar und Panoramablick sind lausig für umgerechnet 40 € pro Nase…


Die Aussicht aus unserem Zimmer. Da lassen wir nochmal Gnade vor Recht ergehen…

So, langsam neigt sich das Vorspiel dem Ende zu. Ich empfehle sehr, den folgenden Teil nicht hungrig zu lesen, oder wenn man gerade in einer Kantine Essen war. Zuerst einmal wollen wir uns der Theorie widmen: Die Stadt Kobe ist neben dem Erdbeben vor allem für ihr Rindfleisch bekannt. Kobe-Rinder bekommen Kirin-Bier zugefüttert und werden jeden Tag von Hand mit Bier massiert. Das Resultat ist ein sehr fein gemasertes Fleisch. Soviel Handarbeit hat ihren Preis, und ein Kilo Steakfleisch mittlerer Qualität kostet in Europa ca. 260 €. Wie es der Zufall so will, befindet sich 26 Stockwerke unter unserem Zimmer im riesigen Komplex des Crown Plaza eines der besten Steak Restaurants von Kobe, das Wakkoqu.


Der Eingang zum Paradies. Wirklich!

Wie es sich für ein hochklassiges Restaurant gehört, wurde man nicht mit so etwas ordinärem wie einem ausgehängten Menü belästigt. Statt dessen wurde man gleich von seinem privaten Koch begrüßt, und an einen der drei Tische im Lokal gebracht, die alle über eine integrierte Heizplatte verfügen.


Der Koch am Nachbartisch bei der Arbeit.

Unser Koch war Yasuhiko Matsushita, ein hoch gewachsener Japaner, der mit einer Leichtigkeit arbeitete, die nur von seinem Können übertroffen wurde. Die Wahl des Gerichtes beschränkt sich im Endeffekt nur auf die Qualität des Fleisches, denn in diesem Restaurant wird NUR Steak von Kobe-Rindern angeboten.


Max und Andi bei der Menü-Wahl. Im Angebot: Steak, Steak und äh Steak.

Meine Freunde bestellten das Standard-Steak, während ich nach der ‚Wie oft bin ich schon beim Kobe-Steak Essen‘ Strategie das Premium Stück von der Lende wählte. Yasuhiko-San orderte unser Fleisch aus der Küche und stellte uns die Steaks umfangreich vor: Maserung, Aroma, vorgeschlagene Zubereitung – bei den meisten arrangierten Ehen in Japan wird der Partner wohl weniger liebevoll präsentiert.


Unsere Steaks, im Vordergrund die Lende, dahinter das Standard-Stück für 2 Personen.

Nach der Vorstellung machte sich unser Koch geschickt ans Werk. Die Steaks wurden zuerst sorgfältig tranchiert. Dabei achtete Yasumo darauf, die besten Stücke herauszuarbeiten. Das Fett lagerte er gesondert, da es als Geschmacksträger gezielt für den weiteren Bratvorgang eingesetzt wurde. Nachdem alles sortiert war, wurde zuerst das Fett auf der heißen Platte scharf angebraten. Einen köstlichen Duft stieg uns in die Nasen, als der Saft brutzelnd nach Außen trat. In dem feinen Aroma-Film, der sich so auf der Platte bildete, briet Yasuhiko die erste Portion Steak heraus. Gewandt warf er die ersten zwei Filet-Stücke auf die Platte, und wendete sie auf alle Seiten, bis das Fleisch zischend ein helles Braun angenommen hatte. Mit drei blitzschnellen Hieben wurde das Steak portioniert und mit Hilfe der Kochschieber auf unsere Teller befördert.


Nein, dieses Bild sagt gar nichts aus. Echt nicht. Man muss sich einen dieser kleinen Klumpen Glück in den Mund schieben, um es zu verstehen…

Während unser Koch eine Schale mit Karotten, Bohnen und weiterem Gemüse holte, das er im Saft schmoren ließ, griff ich ehrfürchtig nach meinen Stäbchen. Der Duft war unbeschreiblich, und ich musste schlucken, weil das Aroma mir das Wasser wie einer dänischen Dogge im Mund zusammenlaufen ließ. Zwar wurde Senf, Salz und Pfeffer zum Würzen gereicht, aber wenn ich mir ein Lendensteak einer Kuh gönne, die liebevoll ihr Leben lang massiert wurde, dann verderbe ich mir den Eigengeschmack nicht mit Gewürzen.
Wie soll man nun das mit Abstand köstlichste, zarteste, wundervollste Stück Fleisch beschreiben, das man in seinem Leben je gegessen hat? Macht es Sinn, eine Kuh mit Bier zu füttern und sie zu massieren? Oh ja, das tut es! Ich musste mich förmlich zwingen zu kauen, weil ich einfach nicht wollte, das dieser Moment jemals endet. Nicht, das es etwas gebracht hätte, denn das Steak war dermaßen zart, dass es sich ohne weiteres Zutun auf den Geschmacksknospen aufgelöst hat.


Mit genau diesem Bier werden die Rinder massiert. Zum Trinken schmeckt es aber auch.

Insgesamt teilte sich der Genuss auf drei Gänge auf. Immer wieder wurde uns Gemüse gereicht, das im Saft der Steaks gebraten wurde und so den sagenhaften Geschmack des Fleisches in sich aufnahm. Zusätzlich wurden die Steak-Stücke der Qualität nach gereicht. Wenn nach dem ersten Gang auf der Zunge eine ausgelassene Party stattfand, so war es beim dritten und letzten eine Orgie, bei der normal sofort die Polizei kommen müsste. Beim finalen Bissen dachte ich mir nur noch, dass ich am liebsten nie mehr meine Zunge mit etwas anderem beleidigen würde, aber auf der anderen Seite: Etwas wirklich Besonderes zeichnet sich gerade dadurch aus, dass man es nicht immer haben kann. Mit diesen Worten möchte ich für heute schließen, denn jetzt möchte ich ins Bett und noch einmal von diesem Essen träumen!

Mitten im Nirgendwo

Nach einem weiteren stressigen Sightseeing Tag (langsam habe selbst ich genug Tempel und Paläste gesehen) haben wir heute unser wohl absolutes Japan-Highlight: Eine Übernachtung in einem traditionellen Onsen. Im Endeffekt ist es auch ein Ryokan, also eine japanische Herberge, nur mit wesentlich edlerem Ambiente und einer perfekten Badelandschaft.


Das Onsen bei Tag. So abgelegen, dass dies die einzigen Gebäude in 100km Umkreis sind.

Ganz zu Anfang begannen wir leichte Zweifel zu hegen, da sich die Anreise als ausgesprochen schwierig erwies. Unser erwähltes Hotel, das Onsen Lampyoda, liegt wirklich am alleräußersten nördlichen Zipfel des japanischen Festlandes. Bereits gute 120 Kilometer vom Hotel entfernt endet die letzte Zugstrecke, und die folgenden Busstrecken werden nur zweimal täglich befahren. Allein die Planung der Route nahm drei Angestellte der Tourist-Information von Kamazawa eine dreiviertel Stunde lang in Anspruch, und bei optimaler Nutzung der Verbindungen war die Anreisezeit von 08:00 Uhr Morgens bis 18:30 Abends gewaltig. Da dieses Onsen wirklich ein absoluter Höhepunkt für uns ist, beschlossen wir dann kurzfristig, doch ein Taxi zu nehmen. Dies erwies sich im Nachhinein als doppelter Glücksgriff: Zum einen schaltete der Taxifahrer nach der halben Strecke den Taxameter ab, und zum anderen trafen wir am Parkplatz auf ein älteres japanisches Ehepaar, die darauf bestanden, uns Morgen früh umsonst zum nächsten Bahnhof mit zu nehmen.
Tja und da standen wir nun: Die salzige Meeresluft füllte unsere Lungen, die Blätter der Bäume raschelten in der Brise, und die schrillen Rufe von zwei Seeadlern ertönten gelegentlich über dem Rauschen der Brandung. Das Hotel selbst liegt völlig abgelegen, und bis auf die kleinen Gebäude des Onsen sieht man weithin nur die zerfklüftete Küstenlandschaft. Die gesamte Anlage verfügt nur über 12 Zimmer, die alle ein privates Bad auf dem Balkon haben. Dort kann man sich mit Blick aufs Meer in dem leicht schwefeligen Vulkanwasser kochen lassen. Natürlich gibt es auch einen großen zentralen Bereich. Dort sind mehrere Becken in die Felsen der Küste eingebettet. Man sitzt in diesen Felsnischen in heißem Wasser, das von unterirdischen Quellen direkt in die Becken gepumpt wird, während die Brandung des Ozeans nur wenige Meter entfernt von einem gegen die Küste schwappt. Neben der traumhaften Aussicht kann man auch die Seeadler beobachten, die elegant am Himmel schweben, um blitzschnell nach unten zu stoßen.


Die klassisch japanischen Zimmer zeichnen sich durch einen hohen Wohlfühl- und Erholungsfaktor aus.

Entsprechend dem hohen Niveau der Becken ist auch unser Zimmer ein paar Klassen über dem, was wir normalerweise als Unterkunft nutzen. Der riesige Raum ist schlicht, aber elegant eingerichtet. In der Mitte des mit Tatami-Matten ausgelegten Raumes befindet sich ein nach Holz duftender Tisch, auf dem in einer großen Lack-Dose das Teeservice steht. Als Sitzgelegenheit dienen drei Bodenstühle, auf denen man sehr bequem sitzt.
Vom Tisch hat man direkten Ausblick aufs Meer, und ich schreibe hier gerade bei einer heißen Tasse Tee, vom Wasser der Quelle wunderbar entspannt und in den samtweichen Kimono gehüllt, der einem ebenfalls gestellt wird. Das ist einer der Momente, der niemals vorübergehen sollte, und er wird gottseidank nur von unserem Abendessen unterbrochen, bevor es in unser Becken am Balkon geht.


Ruhepause vor dem Essen. Die Kimonos sorgen für die richtige Atmosphäre.

Das Essen hat sich als vollwertiges Kaiseki herausgestellt, und war wieder einmal ein Hochgenuß für Augen wie Gaumen. Wenn man überhaupt etwas an der klassischen japanischen Küche aussetzen kann, ist es der hohe Anteil an Fisch und Meeresgetier. Die unterschiedlichsten Konsistenzen der Nahrung, von fest über gummiartig bis hin zu schleimig sind doch mitunter gewöhnungsbedürftig. Aber die Präsentation macht es wieder wett. Leider habe ich von diesem Essen keine Fotos, da wir direkt im Kimono zum Futtern geschlurft sind. Apropos, ich werde mich in meinen Essgewohnheiten wieder umstellen müssen. In Japan ist schlürfen und schmatzen zum einen unvermeidlich (jeder, der mal Udon gegessen hat, kann das bestätigen), zum anderen gelten sie als Kompliment an den Koch. Selbstverständlich habe ich geräuschintensiv gegessen!
Jetzt liege ich gerade faul auf dem Bett in unserem Zimmer, das während dem Essen fürs Schlafen umgebaut wurde. Während unserer Mahlzeit hat das Ehepaar, dem wir bei der Ankunft begegnet sind, über die Bedienung anfragen lassen, wann wir Morgen gerne abreisen würden. Das muss man sich mal vorstellen: Die machen einen romantischen Ausflug, und fragen drei wildfremde Kerle, wann sie gerne abreisen würden, damit sie uns zu unserer Wunschzeit zum nächsten Bahnhof mitnehmen (und da reden wir von 120 km ….). Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Japaner ist wirklich bemerkenswert, auch wenn uns hier wieder der Doitsu-Jin Bonus geholfen hat. Wir haben uns schon mal die Adresse geben lassen, und werden uns angemessen mit einem bayrischen Bierkrug revanchieren.


Das Onsen bei Nacht. Mehr sog I net.

So gerne ich hier auch mit meiner Kamera die Tempel unsicher mache, war dieser Tag ein echter Urlaubstag, denn unsere einzige Aufgabe war es, vom heissen Badewasser zum Essen zu kommen, danach in unsere weichen Betten zu fallen und dort noch einmal die Willenskraft aufzubringen, seine Knochen auf den Balkon zu bringen, um dort den Tag mit Blick aufs Meer bei einem letzten Bad ausklingen zu lassen…