Mitten im Nirgendwo

Nach einem weiteren stressigen Sightseeing Tag (langsam habe selbst ich genug Tempel und Paläste gesehen) haben wir heute unser wohl absolutes Japan-Highlight: Eine Übernachtung in einem traditionellen Onsen. Im Endeffekt ist es auch ein Ryokan, also eine japanische Herberge, nur mit wesentlich edlerem Ambiente und einer perfekten Badelandschaft.


Das Onsen bei Tag. So abgelegen, dass dies die einzigen Gebäude in 100km Umkreis sind.

Ganz zu Anfang begannen wir leichte Zweifel zu hegen, da sich die Anreise als ausgesprochen schwierig erwies. Unser erwähltes Hotel, das Onsen Lampyoda, liegt wirklich am alleräußersten nördlichen Zipfel des japanischen Festlandes. Bereits gute 120 Kilometer vom Hotel entfernt endet die letzte Zugstrecke, und die folgenden Busstrecken werden nur zweimal täglich befahren. Allein die Planung der Route nahm drei Angestellte der Tourist-Information von Kamazawa eine dreiviertel Stunde lang in Anspruch, und bei optimaler Nutzung der Verbindungen war die Anreisezeit von 08:00 Uhr Morgens bis 18:30 Abends gewaltig. Da dieses Onsen wirklich ein absoluter Höhepunkt für uns ist, beschlossen wir dann kurzfristig, doch ein Taxi zu nehmen. Dies erwies sich im Nachhinein als doppelter Glücksgriff: Zum einen schaltete der Taxifahrer nach der halben Strecke den Taxameter ab, und zum anderen trafen wir am Parkplatz auf ein älteres japanisches Ehepaar, die darauf bestanden, uns Morgen früh umsonst zum nächsten Bahnhof mit zu nehmen.
Tja und da standen wir nun: Die salzige Meeresluft füllte unsere Lungen, die Blätter der Bäume raschelten in der Brise, und die schrillen Rufe von zwei Seeadlern ertönten gelegentlich über dem Rauschen der Brandung. Das Hotel selbst liegt völlig abgelegen, und bis auf die kleinen Gebäude des Onsen sieht man weithin nur die zerfklüftete Küstenlandschaft. Die gesamte Anlage verfügt nur über 12 Zimmer, die alle ein privates Bad auf dem Balkon haben. Dort kann man sich mit Blick aufs Meer in dem leicht schwefeligen Vulkanwasser kochen lassen. Natürlich gibt es auch einen großen zentralen Bereich. Dort sind mehrere Becken in die Felsen der Küste eingebettet. Man sitzt in diesen Felsnischen in heißem Wasser, das von unterirdischen Quellen direkt in die Becken gepumpt wird, während die Brandung des Ozeans nur wenige Meter entfernt von einem gegen die Küste schwappt. Neben der traumhaften Aussicht kann man auch die Seeadler beobachten, die elegant am Himmel schweben, um blitzschnell nach unten zu stoßen.


Die klassisch japanischen Zimmer zeichnen sich durch einen hohen Wohlfühl- und Erholungsfaktor aus.

Entsprechend dem hohen Niveau der Becken ist auch unser Zimmer ein paar Klassen über dem, was wir normalerweise als Unterkunft nutzen. Der riesige Raum ist schlicht, aber elegant eingerichtet. In der Mitte des mit Tatami-Matten ausgelegten Raumes befindet sich ein nach Holz duftender Tisch, auf dem in einer großen Lack-Dose das Teeservice steht. Als Sitzgelegenheit dienen drei Bodenstühle, auf denen man sehr bequem sitzt.
Vom Tisch hat man direkten Ausblick aufs Meer, und ich schreibe hier gerade bei einer heißen Tasse Tee, vom Wasser der Quelle wunderbar entspannt und in den samtweichen Kimono gehüllt, der einem ebenfalls gestellt wird. Das ist einer der Momente, der niemals vorübergehen sollte, und er wird gottseidank nur von unserem Abendessen unterbrochen, bevor es in unser Becken am Balkon geht.


Ruhepause vor dem Essen. Die Kimonos sorgen für die richtige Atmosphäre.

Das Essen hat sich als vollwertiges Kaiseki herausgestellt, und war wieder einmal ein Hochgenuß für Augen wie Gaumen. Wenn man überhaupt etwas an der klassischen japanischen Küche aussetzen kann, ist es der hohe Anteil an Fisch und Meeresgetier. Die unterschiedlichsten Konsistenzen der Nahrung, von fest über gummiartig bis hin zu schleimig sind doch mitunter gewöhnungsbedürftig. Aber die Präsentation macht es wieder wett. Leider habe ich von diesem Essen keine Fotos, da wir direkt im Kimono zum Futtern geschlurft sind. Apropos, ich werde mich in meinen Essgewohnheiten wieder umstellen müssen. In Japan ist schlürfen und schmatzen zum einen unvermeidlich (jeder, der mal Udon gegessen hat, kann das bestätigen), zum anderen gelten sie als Kompliment an den Koch. Selbstverständlich habe ich geräuschintensiv gegessen!
Jetzt liege ich gerade faul auf dem Bett in unserem Zimmer, das während dem Essen fürs Schlafen umgebaut wurde. Während unserer Mahlzeit hat das Ehepaar, dem wir bei der Ankunft begegnet sind, über die Bedienung anfragen lassen, wann wir Morgen gerne abreisen würden. Das muss man sich mal vorstellen: Die machen einen romantischen Ausflug, und fragen drei wildfremde Kerle, wann sie gerne abreisen würden, damit sie uns zu unserer Wunschzeit zum nächsten Bahnhof mitnehmen (und da reden wir von 120 km ….). Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Japaner ist wirklich bemerkenswert, auch wenn uns hier wieder der Doitsu-Jin Bonus geholfen hat. Wir haben uns schon mal die Adresse geben lassen, und werden uns angemessen mit einem bayrischen Bierkrug revanchieren.


Das Onsen bei Nacht. Mehr sog I net.

So gerne ich hier auch mit meiner Kamera die Tempel unsicher mache, war dieser Tag ein echter Urlaubstag, denn unsere einzige Aufgabe war es, vom heissen Badewasser zum Essen zu kommen, danach in unsere weichen Betten zu fallen und dort noch einmal die Willenskraft aufzubringen, seine Knochen auf den Balkon zu bringen, um dort den Tag mit Blick aufs Meer bei einem letzten Bad ausklingen zu lassen…

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