Ein Tag zum Nachdenken – Hiroshima

Unser geschichtliches Interesse trieb uns gestern nach Hiroshima, dem Ort, an welchem am 06.08.1945 die erste Atomwaffe der Welt eingesetzt wurde. Die Stadtverwaltung ist nach wie vor sehr bemüht, das Thema lebendig zu halten, aber gerade bei der jungen Bevölkerung merkt man schon, dass die Erinnerung langsam aber sicher verblasst. Unser Weg führte uns als erstes zum Peace Memorial Park, der den Opfern von ‚Little Boy‘ gewidmet ist.


Der Peace Memorial Park. Rechts sieht man das Gebäude des Friedensmuseums.

In diesem Park befindet sich auch das Friedensmuseum von Hiroshima, das man für einen symbolischen Betrag von 50 Yen (ca. 30 cent) betreten darf. Den Besuchern wird ein sehr umfangreicher Audio-Führer angeboten, der insgesamt 56 Textpassagen zu den Ausstellungsstücken vorträgt. Wenn man das Gebäude betritt, steckt man sofort in einem Pulk von Besuchern, die zur Hälfte Japaner und zur anderen Hälfte Gaijin sind. Ich fand es ein wenig Schade, dass sich die Horden von Besuchern zielstrebig durch das Museum pressen, wobei alle nach dem nächsten Audio-Guide Schild suchen. Ein Ort, an dem man sich verständigen und austauschen kann, würde dem ganzen meiner Meinung nach gut tun. Wenn man wirklich Frieden will, dann sollte man doch an allererster Stelle den Dialog suchen.


Hiroshima vor dem Abwurf der Bombe.


Und danach. Das ganze hat ein paar Sekunden gedauert. Was ich nicht wusste – die charakteristische Wolke (der Atompilz) bleibt für ca. 20 Minuten in der Luft stehen.

Die Ausstellung ist in zwei Abschnitte unterteilt – im ersten wird die Vorgeschichte der Stadt als Militärstützpunkt erklärt, die Entwicklung und Funktionsweise der Atombombe dokumentiert und aufgezeigt, wieso a) Japan und b) Hiroshima dran glauben mussten. Man kann sicherlich darüber streiten, wie man das alles bewerten will, aber als ich die Memos der amerikanischen Führung gelesen habe, hat mich schon die Wut gepackt. Da wird ganz offen darüber diskutiert, wie man die Japaner noch lange genug im Krieg halten kann, um die Waffe einzusetzen und damit die 2 Milliarden Dollar Entwicklungskosten (damals ein Haufen Geld) zu rechtfertigen. Am schlimmsten war der Absatz mit ‚of course we need a fair background to show the full power of the weapon, a general stated. We all laughed. Afterwards it was decided to exclude the potential target cities from conventional bombing‘. So etwas auch noch in einem Protokoll festzuhalten!


Eine maßstabsgetreue Nachbildung von Little Boy. Die Bombe ist erschreckend klein, wenn man das Ausmaß der Zerstörung bedenkt.

Im Anschluss an die Vorgeschichte konnte man eine sehr umfangreiche Ausstellung von Gegenständen begehen, die nach dem Einschlag der Bombe konserviert wurden. Zerfetzte Kleidung, geschmolzene Ziegel, und zu fast jedem Exponat erzählte die Frauenstimme des Audio-Guides die Geschichte der Person, zu der dieser Gegenstand gehört hatte. Für die maximale Wirkung – und das fand ich ein wenig manipulativ – wurden nur die Schicksale von zivilen Opfern, meistens Kinder zwischen 7 und 12 Jahren geschildert. Wenn man vor einer halb geschmolzenen Brotzeitdose steht, deren Inhalt von der thermischen Strahlung der Bombe zu pechschwarzer Kohle verglüht wurde, und dazu hört, wie sich der 9 Jahre alte Junge laut seiner Mutter auf das liebevoll zubereitete Mittagessen gefreut hatte, bekommt man unweigerlich einen Knoten im Hals. Als ich nach 5 solcher Geschichten vor der winzigen Uniform einer 7 Jährigen Schülerin stand, die von der Strahlung wie schweizer Käse durchlöchert war, musste ich das Gerät kurz abschalten und tief Luft holen, um die Fassung zu wahren. Natürlich ist klar, das es nicht nur Kinder erwischt hat. Aber die Wirkung ist da am stärksten, und wenn man jetzt einmal gute Absichten unterstellt, dann rüttelt man die Menschen so am besten auf.


Das zentrale Mahnmal. In dem Sarkophag unter dem Bogen werden die Namen aller Opfer von Hiroshima gesammelt. Wann immer ein Überlebender stirbt, wird er der Liste hinzugefügt.

Als ich schweigsam aus den düsteren Räumen schlich und die schrecklichen Bilder mühsam verdaute, wurde mir klar, wie sehr das Thema Atomwaffen aus den Medien verschwunden ist. Ich weiß noch, wie oft gegen nukleare Aufrüstung demonstriert wurde, als ich ein Kind war. Aber seit dem Ende des kalten Krieges ist das Thema immer mehr in Vergessenheit geraten. Klar, die USA pochen zwischendurch darauf herum, dass der Iran keine Atomwaffen haben sollte, aber wer spricht noch davon, die atomaren Arsenale von USA, England, Frankreich, Russland, Indien, Pakistan und allen anderen, die diese Waffen besitzen, endlich zu verschrotten? Klar, alles olle Kamellen, aber ich rate jedem, der jetzt mit der Stirn runzelt, hier nach Hiroshima zu fahren und sich die Interviews mit den Opfern anzuhören.


Das Childrens Memorial. Es wurde auf ein landesweites Begehren der japanischen Grundschüler errichtet.

Eines der bekanntesten Schicksale ist wohl das der kleinen Sadako. Das Mädchen war 2 Jahre alt, als es der Strahlung der Atombombe ausgesetzt war. Erstaunlicherweise zeigten sich zuerst überhaupt keine Schäden, was meiner Meinung nach das ganze nur grausamer macht. Denn mit 11 Jahren, sie war ein sportliches, starkes Kind, wurde ihr bei einem Wettbewerb schwindlig und sie fiel in Ohnmacht. Im Krankenhaus wurde Leukämie diagnostiziert, und sie starb innerhalb von 8 Monaten. Da sie im Krankenhaus davon gehört hatte, dass ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn man 1000 Papierkraniche faltet, machte sie sich ans Werk. Innerhalb von einem Monat hatte sie die 1000 Stück fertig, und hörte bis zum letzten Atemzug nicht auf, diese winzigen Vögel zu falten. Alle Zeitzeugen sind von dem Lebenswillen dieses Mädchens schwer beeindruckt, und diese Geschichte ging nach dem Tod von Sadako durch die japanischen Medien. Der Papierkranich gilt seitdem als Zeichen dieses Mutes, und sowohl japanische Kinder wie auch andere Kinder auf der ganzen Welt falten fleißig Papierkraniche als Ausdruck des Wunsches nach Frieden und im Gedenken an die Kinder, die in Hiroshima gestorben sind.


Ketten aus Papierkranichen an einem Monument in Hiroshima.

Anscheinend hat in Japan Pyromanie Tradition, denn ein japanischer Student hat 1996 alle Kraniche am Childrens Memorial verbrannt, angeblich aus Protest gegen die schlechten Berufsaussichten japanischer Akademiker. Ob der mal eine Sekunde darüber nachgedacht hat, wieviel Mühe es gemacht hat, das alles zu falten?


Das Gebäude der Präfekturverwaltung von Hiroshima. Das Gebäude wird seit dem 06.08.1945 in dem Zustand nach der Explosion erhalten.

Zum Abschluss des heute wohl etwas nachdenklicheren Eintrags gibt es noch eine kleine Geschichte. Während der Besatzung durch die Allierten, die ca. 6 Jahre anhielt, gab es eine sehr scharfe Zensur zum Thema Atombombe. Den Japanern, allen voran den Opfern aus Hiroshima war es strengstens untersagt, die Auswirkungen der Bombe (z.b. Strahlenschäden bei Menschen) zu untersuchen oder zu veröffentlichen. Sogar das Wort Atombombe selbst war strikt untersagt. Die Bürger Hiroshimas überlegten also eine Weile, und beschrifteten das Mahnmal zum Gedenken an die Schüler und Schülerinnen mit der bekannten Formel für Masse/Energierelation (e=mc²). Die unglaubliche zerstörerische Kraft einer Atombombe basiert nämlich auf exakt diesem Prinzip.


Wenn man nicht ‚Atombombe‘ schreiben darf, dann eben anders.

Veröffentlicht in Japan, Reisen.