Gleich vorneweg, meine Meinung über japanische Mode muss ich ein wenig revidieren – ich war jetzt einmal zu normalen Zeiten unterwegs, und bis auf die tragischen Versuche der Frauen, mit Stöckelschuhen zu gehen herrscht ein gehobener, neutraler Kleidungsstil vor. Überhaupt, manchmal hat man das Gefühl das die Menschen hier zwischen zwei Extremen schwanken: Auf der einen Seite die strikte Gesellschaft und der Anpassungszwang, auf der anderen Seite der Hang zur absoluten Übertreibung. Obwohl ich erst so kurz da bin, habe ich das jetzt schon mehrmals erlebt. Zuerst wird so über höflich gehandelt, das es einem schon peinlich ist, aber sobald der geringste Vorwand gefunden werden kann, wird ausgesprochen ausgelassen gefeuert. Ein Schluck Bier berechtigt z.B. zu Ausgelassenheit, da man ja betrunken ist und damit entschuldigt.
Vor dem Yoyogi Parks sitzen im 5m Abstand kleine Bands, die alle mit voll aufgedrehten Verstärkern musizieren. Ein akkustisches Chaos bei dem man nichts hört, aber jede Gruppe hat ein paar Fans bei sich stehen.
Eine Feier der anderen Art habe ich Gestern in Shibuja erlebt: Dort waren wir zu einem Hanami (wörtlich übersetzt „Blütenkucken“) eingeladen. Man versammelt sich in einem Park, breitet eine großzügige Plane aus (sieht furchtbar aus, verhindert aber, das Müll auf den Boden kommt) und schaut sich dann bei einem netten Essen die blühenden Kirschbäume an. Der ganze Park war im Endeffekt ein einziges buntes Fest, von den kleinen Fressbuden bis hin zu den Kleinkünstlern, die an jeder Ecke ihre Kunststücke gemacht haben.
Es ist hier immer wieder erstaunlich wie dicht gepackt alle friedlich zusammenleben. Nur die Schönheit des Parks hat unter den grässlichen blauen Plastikplanen gelitten. Dafür landet der Müll fast nur auf den Müllsammelstellen, auch wenn die sehr übel aussehen. Die meiste Unordnung kommt daher, dass die großen schwarzen Krähen (Garatsu) einzelne Teile vom Müll entführen. Diese Vögel ersetzen die Tauben anderer Städte, wahrscheinlich haben diese schwarzen Monster alle aufgefressen.
Beim Picknick angekommen begrüßte uns die Gastgeberin, eine widerwärtig selbstgefällige Holländerin, die uns ständig ihr veganisches Vogelfutter zum Wucherpreis von 1500yen andrehen wollten. Guter Zweck hin oder her, aber das war uns dann doch zu blöd. Die anwesenden Japaner sind alle extra zum Begrüßen aufgestanden, was eine sehr peinliche und umständliche Angelegenheit ist. Da ein Gaijin (Fremdländer) wie ein wildes Tier ist, das keine zivilisierte Verbeugung hinbringt, versuchen sie, einen auf westliche Art zu begrüßen. Da wird dann nach der Hand gegriffen, und dann schütteln sie und schütteln sie und schütteln sie, während sie einen mit einem Redeschwall auf Japanisch eindecken, den auch Einwanderer mit guten Sprachkenntnissen kaum verstehen. Man kann das nur beenden, indem man Ihnen die Hand förmlich entreisst. Ich sage dann inzwischen ‚Sumimasen, chotto wakarimasu. Stefan desu, dozo yoroshiku‘. Heißt soviel wie „Sorry, ich versteh nur wenig/nix. Ich bin Stefan, sei mir bitte gewogen‘. Das freut sie dann, aber man hat das Theater trotzdem immer aufs neue. Man hat förmlich den Wunsch, ihnen den Kopf zu tätscheln, um sie für das Engagement zu loben.
Glücklicherweise wurde das alles vom dumpfen Donnern von Trommeln unterbrochen, das von einer Musik begleitet wurde, die genauso grellbunt war wie die tausend Reklametafeln Tokios. Neugierig wie ich bin, musste ich da sofort hinlaufen – diese durchgeknallte Weltverbesserin stehen zu lassen war nicht die schmerzhafteste meiner Entscheidungen. Das bekam ich zu sehen:
Diese Trommlergruppe ist eine Art privater Verein, der das mehr oder weniger spontan auf die Beine gestellt hat.
Ich konnte nicht genau herausfinden, was der Anlass war, aber eine heitere Menge war komplett um die Gruppe versammelt. Besonders entzückend war, dass sich die Leute erst einmal umgesehen haben, und wenn sie entweder niemand beachtet hat ODER der Nebenmann tanzte, wurde auf einmal das Tanzbein geschwungen. Nach der zweiten Nummer sprangen zwei als Hund verkleidete Männer auf die Fläche, und begannen neben fantastischen akrobatischen Einlagen auch Spässe mit den Gästen zu treiben.
Wer wollte, durfte sich danach mit dem Kopf-Akrobaten des Hundes zusammen fotografieren lassen. Leider wird dieser Service für Gaijins nicht geboten, bis ich mit dem Händeschütteln meines Fotografen fertig war, turnte der Hund wieder wo anders herrum.
Gegen Ende hin wurde die Stimmung immer besser. Diese Trommler legten einen treibenden Rhythmus vor, und als der erste (ein wenig angetrunkene) in die Mitte sprang und die Arme schwang, wurde er nicht etwa herausgeworfen. Nein, statt dessen zogen zwei der Veranstaltung den nächsten in die Mitte, dann noch einen und immer mehr, bis alles nur noch ein einziger Pulk war, in dem gejubelt, gehüpft, gestampft und getrommelt wurde. Sogar ich wurde gepackt und in die Menge gezerrt. Die Erfahrung, in diesem Toben dabei zu sein, kann man nicht wirklich in Worte fassen, deswegen lasse ich das. Dann lieber noch das letzte Bild, das ich machen konnte:
An sich gäbe es noch viel zu Berichten:
Tokios Fischmarkt, den ich heute besucht habe, und der jede nur erdenkliche Lebensform aus dem Meer bietet (von hier werden die 16 Millionen Einwohner Tokios mit Fisch versorgt)
Der große Tempel in der „Altstadt“ Asakusa (Ueno), in dem ich mir ein Schicksal gezogen und auch noch ein tolles bekommen habe, während Ryan (der Amerikaner mit exzellentem Japanisch, der uns heute rumgeführt hat) ein so Schlechtes gezogen hat, das wir es sofort an einen Baum binden mussten.
Ich berichte also wirklich nur von einem Auszug dessen, was es zu erzählen gibt, und hoffe, wieder etwas Appetit für den nächsten Happen gemacht zu haben. Da Morgen ein langer Tag mit Tokio-Tower, Aussichtsplattformen und Roppongi, der Gaijin Hochburg Tokios anstehen, wird es frühestens am Mittwoch wieder Nachschub geben…