Bereits am Eingang konnte sich der Otaku an einer opulenten virtuellen Speisekarte vorglühen
Jedes denkbare und auch so manches undenkbare Gerät war hier erhältlich. Ob Kameras vom 10 Euro Knipser bis zur 5000 Euro Kamera mit einem Objektiv, das mit 50 Zentimeter und gut 8 kg nicht mehr richtig handlich war, ob Bausätze für Gundam oder eine der anderen Dutzenden Mech Serien, die beklopptesten Japan Only Videospiele – hier fand sich alles. Besonders lustig fand ich ein PS3 Spiel in Manga Optik, dessen einziger Inhalt es war, möglichst erfolgreich in der Ubahn unter Röcke zu fotografieren und nicht erwischt zu werden. Oder Strip-Billard mit Schulmädchen. Oder Tokyo Zoo, wo Tokyo als postnukleare Geisterstadt von blutrünstigen Schosshunden beherrscht wird (in der Demo riss ein kleiner Pekinese einen Hirsch). Und all das wird nicht verstohlen unter der Ladentheke gehandelt, ich sah zwei Geschäftsmänner, die auf einmal wie kleine Jungs auf und ab hüpften und sich mit glücklichen „Sugoi“ Rufen das Ubahnspiel packten. Endlich in aller Ruhe sexuell belästigen ohne die nervigen Anzeigen!
Einer der vielen Gänge in der Modellbau Abteilung. Beim Kaufen bevorzugen die Männer die Roboter mit den größten und meisten Kanonen.
Ein Besuch in einem großen Kaufhaus ist sehr aufschlussreich, wie das Herz eines Japaners so tickt. Da ich für einen Hausgeräte Hersteller arbeite, wollte ich natürlich einmal checken, wie das in Japan aussieht. Ich denke es ist genug gesagt, dass die Hausgeräte Abteilung nicht einmal halb so groß war wie die Sektion, wo man sich für 100 Yen billiges Plastik Spielzeug aus Automaten ziehen konnte. Die wenigen verwaisten Geräte, die keine Reiskocher waren, standen ungewollt in einer Ecke und setzten Staub an. Das liegt daran, dass die Japaner mit ihrem sparsamen Platz zu Hause keine Küche wollen.
Dafür gibt es alle drei Meter ein kleines Lokal, und da sitzt immer jemand, der gerade isst. Und man kann es schon verstehen: Warum eine Küche und selber mit teuren Zutaten kochen, wenns um die Ecke ein Riesen Ramen für 450 Yen gibt?
Da meine Frau mit meinem Robinson Crusoe Gedächtnisbart nicht restlos begeistert ist – ich finde ihn verwegen und man kann damit so schön Japaner erschrecken – sichteten wir das ebenfalls sehr magere Rasierer Angebot. Es gab mehr elektrische Damenbart Stifte als Rasierer für Männer, und das Schönheitsideal war merkwürdig bis verstörend.
Wer würde sich von dieser Werbung zum Kauf animieren lassen? Könnte aber ein Verkaufsschlager im Glockenbach Viertel sein.
Irgendwann konnte mich Imogen dann doch von den vielen verrückten Sachen loseisen, und wir machten uns auf zur Kawaramachi-Sanjo. Hier ein bisschen Hilfe für den Reisenden: Kreuzungen großer Strassen bestehen aus den beiden Strassen Namen. Kreuzt also Kawaramachi-Dori die Sanjo-Dori… Damit verläuft man sich gleich viel seltener. Für das tapfere Ausharren im Maennerparadies („Frau Wiedenmann, holen sie bitte ihren Mann bei den 3D Camcordern ab“) bekam Imogen erst einmal einen großen Frozen Yoghurt mit allen Schikanen. Ich glaube die Yami-Yoghurt Verkäuferin wird heute bei einem Schrein eine Münze für mich werfen, da ich Imogen das Bestellsystem erklärte. Man wählt die Größe der Grundportion, eines oder mehrere Toppings und eine oder mehrere Soßen. Die Verkäuferin war sprachlos verzweifelt, da ihr Englisch Wortschatz und das pantomimische Vokabular meiner Frau dieser Aufgabe nicht gewachsen waren.
Die Kawaramachi hat zwei sehr unterschiedliche Gesichter. Biegt man von der Hauptstraße in die westlichen Gassen, so ist man in der Shopping Zone. Es wirkt ein wenig wie ein Einkaufszentrum in einer amerikanischen Teenie Komödie. Herrlich ist, das selbst an einem Sonntag Abend um Neun noch viele Geschäfte offen haben.
Richtig interessant aber ist die Ostseite der Kawaramachi. Hier ist das gesamte Nachtleben auf 2 Blocks in winzigen Gassen verstreut. Obwohl es Sonntag Abend war, strömten die Menschen durch die Strassen. Leider war fotografieren nicht möglich, da alle 5 Meter ein freundlicher junger Mann im schwarzen Anzug und Tokyo Hotel look stand. Die Knaben mit dem lustigen 80er Wuschelkopf sind ein fester Bestandteil des japanischen Rotlichtmilieus und auch gerne mit der Yakuza verbandelt. Sie zu knipsen wäre mir zwar ein dokumentarisches Vergnügen gewesen, aber es ist reine Glückssache, wie humorvoll das der jeweilige Kerl sieht.
Die meisten sind ja harmlos und einfach dafür da, den alleine gehenden Damen oder Herren einen ganz tollen Club zu empfehlen. Man darf sich aber nicht wundern, wenn das ein handfester Stripclub oder ein sogenannter Gentlemens Club ist. Wer einem „Host“ bzw. „Hawker“ folgt, weiß in Japan normal, worauf er sich einlässt. Als Paar hier entlang zu gehen ist sehr angenehm, da man weder von den Männern noch von den Frauen angesprochen wird. Auch extrem aufgebrezelte junge Frauen standen im Spalier vor Bars mit abwechslungsreichen Namen wie „Lady“ oder „Sunshine“ oder auch „Sunshine Lady“.
Allein gehende Männer werden angeblinkert, und weil der Mann spontan soooo sympathisch ist, kann er doch mit zum Tänzen kommen. Drin verschwinden die Frauen in der Menge, und der Barkeeper präsentiert fröhlich eine Rechnung von gut 100 Euro für ein paar Bier. Da ich im allgemeinen sehr gutgläubig bin, hatte man mir das bei meiner ersten Reise eingebläut, und in dieser Strasse konnte man das wunderbar beobachten.
In den Strassen und Gassen wimmelte es vor gutgelaunten Japanern. Anfangs waren wir erstaunt, wieviel gelacht, gescherzt und sogar für japanische Verhältnisse schon sehr unanständig Händchen gehalten wurde. Als dann aber zum dritten Mal ein breit grinsender Mann mit feuerroter Nase auf die Strasse stolperte, bemerkten wir, dass wir so ziemlich die einzigen nicht Betrunkenen waren. Vor allem die Frauen waren oft besser betankt als ein Übersee Frachtschiff.
Wenigstens klärte diese Liebesmeile unsere Frage vom Vortag: Während in Bayern die Biergestuetzte Beziehungsfindung im großen Stil eher auf das Oktoberfest begrenzt ist, sichert der Alkohol in Japan den Arterhalt. Das hört sich jetzt gemein an, aber wenn man im Kontrast sieht, wie kontrolliert, höflich und zurückhaltend die Menschen im Alltag sind, dass ich da schon mitleide, und dann die ausgelassene Stimmung am Abend, dann kann man sich sehr gut vorstellen, wie sich die Leute hier erstmal etwas Mut antrinken, bevors persönlich wird.
Den Abend schlossen wir mit einem romantischen Verirren im Kyotoer Hauptbahnhof ab. Dieses riesige Gebäude ist ebenso eindrucksvoll wie verwirrend, da es bis zu 10 Etagen in die Höhe geht, die ohne ersichtliche Logik wild miteinander verbunden sind. Die Enwohner Kyotos mögen den Bahnhof nicht, da er ihnen zu wenig traditionell ist, aber bei Leuten, die bei einem Kunsthandwerksladen neben Kalliegraphiepinseln Disney Flaggen verkaufen, wirkt so ein Argument etwas dünn.
Auf der Suche nach einem Ausgang kamen wir zu einer schönen Dachpassage, wie wie Perlen an einer Schnur im 10 Meter Abstand Pärchen saßen. Wenn einfach wenig Platz ist, lernt man anscheinend, sich seine Intimsphäre auch im öffentlichen Raum zu nehmen. Oder es kann daran liegen, dass auch hier die Augen nicht nur vom Fieber der Liebe glasig waren. Mein Mitgefuehlspreis des Abends geht an einen jungen Mann, dessen Verabredung besinnungslos an einer Säule lag. Er saß mit geknicktem Gesichtsausdruck da, und versuchte der Frau ab und zu etwas Tee einzuflößen. Wie muss das sein, wenn man sich bei der Verabredung nicht nur über seine Klamotten Gedanken machen muss, sondern auch noch die perfekte Balance zwischen gemeinsamen Mut antrinken und den anderen nicht an einen Vollrausch verlieren finden muss?