Ich ruhe nur kurz meine Augen aus, ganz kurz
Der Kampf wird noch ausgefochten
Ca. 15 Sekunden später
In hartem Teamwork schafften wir es dann doch zum neuen Hotel, pünktlich 3 Stunden vor dem möglichen CheckIn. wir konnten zumindest den großen Koffer in der Lobby parken, und konnten dann doch nicht anders, als die Zeit bis dahin sinnvoll zu nutzen. Mit an Bord war das übliche Morgenpaket: Der Trott in den 7Eleven, und dann wie bei einer Hochzeit: Etwas altes (der Reisklumpen mit bisschen Fisch), etwas neues (eine pappsüße chemische Abscheulichkeit, in der ewigen Jagd nach einem erfrischenden Erfrischungsgetränk) und etwas blaues (eine Flasche Hokkaido Mineralwasser).
An sich wollten wir die Zeit über im Park rasten, aber am Ende waren wir dann doch wieder fleissig unterwegs. Tempelbesichtigung, Leute gaffen, durch den Park laufen, noch mehr Leute gaffen, kurz überlegen, die unpassende Starbucks Filiale vor dem Nationalmuseum zu sprengen, die Sichtung einer Bonsai Ausstellung inklusive kompletter Ablichtung – alles in allem ein ganz entspannter früher Nachmittag im Hause Wiedenmann. Apropos Familie, ich hoffe mein lieber Bruder liest das hier, denn er ist ein großer Bonsai Fan und ich habe die arme Imogen gezwungen, jeden einzelnen Baum zu knipsen.
An vielen Schreinen gibt es die Statue einer Kuh, der man bei Kinderwunsch eine Schürze umhängt. Da ich nie ein Schürzenjäger war und wir so keine Schürzen dabei hatten, versucht meine Frau, das Wohlwollen der Zauberkuh mit einer herzlichen Kobe-Massage zu erkaufen.
Ein letzter Moment der Gnade vor dem Bonsai Marathon
Mein lieber Bruder, wir haben sooooo viele Bonsais für dich fotografiert!
Zusammen mit der Sonne und dem Schlafentzug wurde ich immer alberner. Imogen konnte mich noch davor abhalten, mit meiner Kamera vor die Japaner zu springen, wild mit den Augen zu rollen und zu Brüllen: „wir sind finstere Ausländische Teufel (Oni) und stehlen euch jetzt eure Seelen Waaahahahahaha!“. Sie hat mich an die Sache mit Flitterwochen, der Romantik und kein Gefängnis erinnert. Nicht, dass ich jetzt ein Chaot, Störenfried oder ähnliches wäre. Im Gegenteil, ich fühle mich in meinem Humor manchmal einfach missverstanden. Oder es war etwas in dem riesigen Wassereis, das ich geschlürft habe. Einmal wäre ich beinahe aus der fürsorglichen Obhut meiner Frau entkommen, als ich mich wie ein Chamäleon meiner Umgebung angepasst habe. Dies erfordert ein tiefes Verständnis menschlicher Wahrnehmung bzw. die passende Größe und Mimik.
Ich verstehe nicht, wie diese raffinierte Tarnung auffliegen konnte.
Als der Sirup Rausch überstanden war, merkte ich wieder die Müdigkeit. Neidisch beobachteten Imogen und ich die glücklich schlummernden Japaner. Der Sirenengesang eines Bettes war unerträglich stark. Man stelle sich das in etwa so vor: Der Körper hat das erfrischte Empfinden einer 10 Stunden Massage mit einem Brecheisen. Alles tut auf eine nörgelnde Art weh, und der Geist ist wie ein immer dunkler werdendes Lagerfeuer, das in einem Meer aus Zuckerwatte einsam flackert. Der Wille erinnert hartnäckig und pflichtbewusst daran, dass ein erneutes Nickerchen wieder eine Niederlage in Krieg gegen n Jetlag ist, aber die Zuckerwattte… Die ist so wunderbar weich, und samtig, und die Knie meckern so und… loslassen, einfach loslassen… „GANBATTE SCHATZ!!!!! HALTE DURCH! NICHT WEGNICKEN, WIR GEHEN WEITER!!!“
Eine Ehe verbindet zwei Menschen, und gemeinsam bildet man eine starke Einheit, die selbst in solchen Situationen Kraft gibt, dem inneren Sirenenschweinehund zu widerstehen. Auch wenn man im direkten Moment der Unterstützung nicht immer von unendlicher Dankbarkeit und Liebe erfüllt ist. Das bekommt der Partner dann in Form einer Fussmassage.
Bei dem Anblick möchte man auch sofort so selig schlafen
„Wenn Du denkst, es geht Dir jetzt schlecht, stell Dir einfach vor, was noch schlimmer wäre.“ Solch einfühlsame Unterstützung gibt dem Partner Kraft zum Weitermachen.
Wir haben es übrigens bis in den Abend hinein geschafft, ohne ein Nickerchen durch den Tag zu kommen. Wir haben noch Ueno und Asakusa am Abend heimgesucht, und die fantastische Atmosphäre von Tokyo aufgesaugt. Man fühlt sich wirklich zu keiner Sekunde unsicher, und die Freundlichkeit der Japaner hilft sehr dabei, einmal die schlechte Laune wegen der Erschöpfung zu vergessen. Wir haben so vieles gesehen, dass ich noch unzählige Seiten schreiben koennte, aber dann bleibt bei der ganzen Berichterstattung keine Zeit mehr, Neues zu erleben, und Zeit für den Partner ist auch wichtig. Nur zwei Kleinigkeiten wollte ich noch erwähnen:
Zum einen wurden wir für unsere Ausdauer am Abend belohnt, weil wir rein zufällig in ein Ritual von Zen Bogenmeistern gestolpert sind. Von lauten Taiko-Trommeln angelockt konnten wir die Bogenschützen beobachten, wie sie auf ihre Zielscheiben geschossen haben. Vom Zug bis zum Abschuss haben diese Männer eine so tiefe Ruhe ausgestrahlt, dass es auch für mich wie eine kühlende Hand war. Zum anderen konnte ich mit meiner Frau einen romantischen Spaziergang durch den Ueno Park nach Hause machen. Bei Tag wirken die drei kleinen Seen nicht so toll, aber bei einer lauen Sommernacht, wenn sich das Licht auf dem Wasser spiegelt, ist es ein sehr schöner Weg. Der Meinung waren übrigens nicht nur wir, sondern viele zusammengekuschelte Pärchen, die für einen verliebten Menschen ein Spalier der Zärtlichkeit gebildet haben. Für masochistische Menschen, die Einsam sind, kann man diesen Weg deshalb – wenn auch aus völlig anderen Gründen – sehr empfehlen.
Morgen dämmert unser letzter Tag in Tokio, und dieses Mal werden wir es garantiert ganz gemütlich angehen lassen. Als Einstimmung und Vorsatz deswegen unser schon fast spionagetauglicher Schuss von den Zen Bogenschützen:
Einatmen. Ziehen. Loslassen. Ausatmen.